Mit ihrem noch recht kleinen, aber ungeheuer frischen und zeitgemäßen Werk hat die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma (*1978) bereits einen deutlichen Fußabdruck in der Filmwelt hinterlassen, und das schon lange bevor sie 2019 in Cannes mit der Palme für das beste Drehbuch für PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN ausgezeichnet wurde. Sciamma versteht es wie wenige Autor*innen momentan, mit großer Sensibilität zwischenmenschliche Beziehungen zu inszenieren. Im Mittelpunkt stehen meist junge Menschen, deren Erlebniswelten sie mit großer Selbstverständlichkeit einzufangen versteht. In BANDE DE FILLES sind es jugendliche Frauen in einer Pariser Banlieue, deren trister Alltag in einem neuen Licht erscheint und Möglichkeiten der Selbstermächtigung zeigt. TOMBOY schildert die Geschichte eines zehnjährigen Mädchens, das sich als Junge ausgibt, WATER LILIES porträtiert drei 15-jährige Freundinnen und deren erste Erlebnisse mit Liebe und Sex.

Es sind die großen Gefühle, die diese jungen Menschen umtreiben, aber Sciamma besitzt ein herausragendes Talent, sie ohne Kitsch und Pathos darzustellen. Coming-of-Age-Klischees? Fehlanzeige! Statt auf Bedeutungsschwere und sozialrealistischen Miserabilismus setzt sie auf Natürlichkeit. In der Führung ihrer Schauspieler*innen gelingt es ihr, immer wieder den Eindruck von Spontanität zu wahren, ihre Protagonist*innen umweht ein Hauch von Freiheit. Damit einher geht auch eine Freiheit vom klassischen „männlichen Blick“, den die Regisseurin nicht zuletzt in ihrem jüngsten, vielleicht politischsten Film PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN deutlich zurückweist. Sciamma präferiert eine dezidiert weibliche Sichtweise, die (wie auch in BANDE DE FILLES) Momente der Solidarität zwischen Frauen erfahrbar macht. Das kann ein Strahlen erzeugen, das durch den geschickten Einsatz von (Pop-)Musik zusätzlich verstärkt wird, ob ihre Protagonist*innen nun zu einem Song von Rihanna durch ein Hotelzimmer tanzen oder am Lagerfeuer Kanongesänge anstimmen. Wie Céline Sciamma ihre Themen mit solcher Schönheit in ihren Filmen verhandelt, ohne der Verführung der Oberfläche zu erliegen, ist ein Glücksfall für das europäische Kino.

Neben Céline Sciammas vier Regiearbeiten zeigen wir zusätzlich den Animationsfilm MEIN LEBEN ALS ZUCCHINI, einen der schönsten Kinderfilme der letzten Jahre, für den Sciamma das Drehbuch beisteuerte – und den sich auch Erwachsene nicht entgehen lassen sollten.

Für alle, die sich ein wenig mit Erzählweisen im Kino von Céline Sciamma beschäftigen möchten: hier ein schöner Videoessay von Oswald Iten anlässlich des großen Sciamma-Portraits im Schweizer Filmmagazin Filmbulletin (Ausgabe 6/2019). Video in englischer Sprache.