„Mitgefangen – mitgehangen!“ – Die Massenverhaftung im KOMM
-
05.03.2021
-
Ein Haus, viele Gesichter
In seiner mehr als hundertjährigen Geschichte hat das Nürnberger Künstlerhaus so einige gesellschaftliche Entwicklungen und historische Momentaufnahmen kommen und gehen sehen. Errichtet 1910 als Anlaufstelle für die regionalen, fränkischen Künstlervereine, vereinnahmt von den Nationalsozialisten, Casino und Veranstaltungsort für die amerikanischen Besatzer nach dem zweiten Weltkrieg, Studentenkanzlei für die Erziehungswissenschaftliche Fakultät Nürnberg und schließlich als KOMM eines der ersten selbstverwalteten, soziokulturellen Zentren in Deutschland. Später weitergeführt als K4 und heute eben wieder Künstlerhaus… Aber wohl kaum ein Tag seit Bestehen des Hauses hat sich mehr in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingegraben als die Geschehnisse rund um die Massenverhaftungen am 05. März 1981: 141 Jugendliche und Heranwachsende wurden damals mehr oder weniger willkürlich verhaftet, um ein politisches Exempel zu statuieren.
Was war passiert?
Am Abend des 5. März 1981 fand im KOMM eine Vollversammlung mit etwa 150 Besucher*innen statt bei der auch ein Dokumentarfilm über die niederländische Hausbesetzerszene gezeigt wurde. Im Anschluss zog eine Gruppe junger Leute los, um ihrem Missmut in einer spontanen Demonstration durch die Nürnberger Altstadt Ausdruck zu verleihen. Darunter auch einige wenige Randalierende, die es auf Schaufenster von Banken und Autos abgesehen hatten. Dabei entstand ein Sachschaden in Höhe von 30.000 DM.
Die Protestbewegung kam nicht von ungefähr. Zuvor hatte es bereits in Gorleben, Brokdorf und Amsterdam gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Hausbesetzern gegeben. Für den damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, war das Maß aber längst voll. Er stufte das KOMM schon länger als „Kern einer neuen terroristischen Bewegung“ ein. Die eingeworfenen Schaufensterscheiben erfüllten so den Tatbestand des „Landfriedensbruchs“.
Machtdemonstration: Die 141
Um 23 Uhr, nachdem die Protestler zum Teil ins KOMM zurückgekehrt waren, wurde das Gebäude von bewaffneten Polzisten umstellt. Stunden später wurden 164 Betroffene zur „Leibesvisitation“ abgeführt. Die meisten von Ihnen hatten mit der Demonstration gar nichts zu tun, sondern waren eher zufällig im KOMM: für eine Runde Billard oder um mit Freunden etwas zu trinken. Kinder von Pfarrern, Richtern und Politikern. 141 Personen wurden verhaftet. 21 von ihnen waren zum Zeitpunkt der Verhaftung noch minderjährig, ihre Eltern wurden zum Teil tagelang nicht informiert. Die Grundlage hierfür: 141 gleichlautende und schlicht kopierte Haftbefehle.
Welle der Empörung und Sieg der Gerechtigkeit
Eine Welle der Empörung über die überzogenen Maßnahmen erhob sich in ganz Deutschland. Die Leitmedien „Stern“ und „Spiegel“ berichteten in ihren Titelgeschichten. Die öffentliche Meinung ging aber zum Teil doch weit auseinander: von „gegen Straßenterror und Anarchie hart durchgreifen“ bis hin zum Aufruf nach einem verständnisvollen „Dialog mit der Jugend“.
Schließlich wurde gegen 66 Beteiligte Anklage erhoben. Aber die Beweislage war verhältnismäßig dünn. Polizeiliche Protokolle vom 05. März wurden zurückgehalten. Der Vorwurf der Manipulation wurde laut. V-Leute wollten nicht mehr aussagen. Der Protest im ganzen Land war riesig. Ein Jahr später wurde das Verfahren endgültig eingestellt.
Heuer, am 5. März 2021, jährt sich dieses denkwürdige Ereignis zum 40. Mal. Daher möchten wir uns und euch an die Geschehnisse von damals erinnern.
Dokumentarische Filmreihe im Kino 3
Das Filmhaus Nürnberg zeigt anlässlich dessen eine dokumentarische Filmreihe mit den Filmen "Ende der Freiheit", "Gott mit dir du Land der Bayern - Oder die 141 von Nürnberg", "KOMM-Film - Kurzer Zusammenschnitt", "Unter deutschen Dächern: Der Schandfleck", "Völlig ausgeliefert - Die KOMM Massenverhaftungen - Betrachtung nach 30 Jahren" im digitalen Kinosaal Kino 3. Das Ansehen der Filmreihe ist im Monat März auch ohne Erwerben einer Filmhaus-Freundschaftskarte nach kostenloser Registrierung möglich.
Am 5. März 2021 um 19 Uhr findet zudem ein Zoom-Livegespräch mit Regisseur Helge Cramer ("Ende der Freiheit") statt. Die Teilnahme daran ist kostenlos.
Meeting-ID: 850 4827 9426
Kenncode: 771879

Wie hast Du die Massenverhaftung erlebt?
Wir haben Nürnberger Zeitzeug:innen, ältere Kolleg:innen und KOMM-Wegbegleiter:innen nach ihren persönlichen Erinnerungen an diese politisch aufgeladene Zeit befragt:
Wo warst Du am 5. März 1981, was hast Du zu dieser Zeit getan? Wie hast Du diesen Tag erlebt, wie die damalige Zeit wahrgenommen? Was haben die Geschehnisse mit dir gemacht, in dir bewegt? Wie warst Du mit dem damaligen KOMM verbunden? Und wo stehst Du heute?
Ihr könnt direkt zum Statement eurer Wahl springen oder aber in aller Ruhe eines nach dem anderen durchlesen.
Die Angaben in Klammer geben euch die ungefähre Lesedauer an.
Zu den Statements von...
Dr. Andrea Dippel (~1 Min.) Stephan Grosse-Grollmann (~3 Min.) Ellen Seifermann (<1 Min.)
Wolfgang Kischka (~2 Min.) Irmela Bess (~2 Min.) Christiane Schleindl (~4-5 Min.)
Dr. Andrea Dippel, Leiterin der Kunstvilla
„1981 war ich 11 Jahre alt und besuchte das Sigena-Gymnasium. Ich hatte schon erste politische Erfahrungen gesammelt und u.a. an den jährlichen Ostermärschen und an Demos für mehr Fahrradwege teilgenommen. Demos waren prinzipiell von einem hohen Polizeiaufgebot begleitet, doch die Erfahrungen waren bis dato dennoch positiv. Wir übergaben z.B. Rosen an die Polizisten, von welchen manche uns auch ihre Sympathie bekundeten. Umso schockierender waren die Ereignisse vom 5.3.1981 im KOMM, zumal einer meiner Cousins damals ebenfalls verhaftet wurde und zunächst unbekannt blieb, wohin er verbracht worden war. Die später zurückgenommene Vorbestrafung konnten wir nicht nachvollziehen und es wurde in der Familie viel über die Staatsgewalt und die Rechtmäßigkeit diskutiert.
Letztlich haben die Massenverhaftungen zu meiner Politisierung beigetragen. Die Ausgabe der Illustrierten STERN vom 19.3.1981, die die Ereignisse schildert, besitze ich noch heute. Mein Cousin auf dem Cover und im Innenteil, später auch im Fernsehen – das war aufregend!
Umso elektrisierter war ich, als ich 2017 während der Vorbereitung der Ausstellung „Giorgio Hupfer – Du sollst Dir kein Bild machen“ im Nachlass des Künstlers eine Zeichnung fand, die eine Innenseite desselben STERN-Hefts abbildet:
Offenbar hatte der Bericht den damals 23-jährigen Kunststudenten Giorgio Hupfer ebenfalls bewegt und zu einer künstlerischen Aussage angeregt!
Ich durfte in späteren Jahren dennoch ins KOMM, in dem das Sigena-Gymnasium im Festsaal seine Faschingsfeiern veranstaltete, und saß oft in der Teestube. Vielen meiner Freunde und Freundinnen war es aufgrund der Vorkommnisse 1981 jedoch seitens ihrer Eltern strengstens verboten, das KOMM zu betreten. In jungen Jahren glich der Besuch im KOMM daher immer ein wenig einer Mutprobe."
- Andrea Dippel, 15.02.2021
Stephan Grosse-Grollmann, Filmhaus Nürnberg
"Am 5.3.1981 war ich was weiß ich wo. Wahrscheinlich zu Hause in meinem WG Zimmer in der Stephanstraße. Ich musste meine Zulassungsarbeit für das Examen an der AdbK schreiben. Thema: Alternativer Film. Ich malte Ölbilder, studierte Kunst, drehte experimentelle Filme. Ich war in einem bundesweiten Verband von Filmemachern aktiv, zeigte unabhängige Arbeiten im Kunstverein Hintere Cramergasse 12. Im Januar 1981 aus aktuellem Anlass zwei Filme zum Thema Hausbesetzung aus Freiburg und aus Berlin. Kleine fränkische Versionen der großen Unruhen in Berlin und anderswo erzeugten Interesse am Thema. Ich war in der Redaktion des Stadtmagazins Plärrer und veröffentlichte einen Bericht über Kinos in Berlins besetzten Häusern.
Das Märzprogramm für den Kunstverein wurde an diesem Tag von der Druckerei abgeholt. Nachdem ich dort seit dreieinhalb Jahren aktiv war und neben Filmveranstaltungen bevorzugt die Werbearbeiten machte, hatte ich das Layout gemacht. Regina war diejenige von uns, welche das Programm abholen wollte bei der Druckerei. Sie war erst seit kurzem bei uns dabei, nachdem der Kooperative zeitgenössischer Künstler in der Veillodter Straße gekündigt wurde. Regina kam aber mit dem Programm an diesem Abend nicht im Kunstverein an. Es war das Märzprogramm, also eh schon etwas spät fertig geworden. Sie wollte noch vorher in die Teestube im Komm und dort gleich etwas auslegen. Das hätte sie nicht tun sollen. Sie wurde wegen nichts verhaftet. Das Programm wurde wegen nichts beschlagnahmt. Die ganze Sache am 5. März 1981 war eine der übelsten Aktionen, gedeckt vom Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß.
Am Tag drauf gab es Meldungen über Verhaftungen im Komm nach einer Demo. Es war die Wiedergabe der Meinung der Staatsregierung. Bald klang es völlig anders. Im Komm war da nur noch Aufregung. Jeder suchte nach Personen, die nicht nach Hause gekommen waren in der vergangenen Nacht. Stück für Stück bekam ich mit, wer alles verhaftet wurde, den ich kannte.
Nun musste ich ein zweites Mal ein Programm für März herstellen. Erste neu anzukündigende Veranstaltung: "Kraaker - ein Königreich für ein Haus" am 13.3. von der Medienwerkstatt. Wir zeigten ihn als Protest, der Film lief ja am 5.3. im Komm. Mein Vortext zur Programmübersicht: "Von unserem Vorstand sitzen Regina, der Gerald und der Michael im Knast. Unser Programm wurde übrigens zusammen mit Regina in Gewahrsam genommen und liegt versiegelt (!!!) in der Frauenuntersuchungshaftanstalt. Dies ist also das zweite." Als `Protest-Schmuck´, damit der Verantwortliche dieses Programmes identifiziert werden konnte, hatte ich meine eigenen Fingerabdrucke mitdrucken lassen.
Wir wussten nicht, wer alles eingesperrt war. Komisch war ein Abend zwei Wochen später, als ein Gast in den Kunstverein kam, der sagte: "Ich bin wieder frei". Es war eine bedrückende Stimmung in diesen Tagen. Die erste große Demo war gleich am 7.3., eine sehr große vor der Lorenzkirche am 10.3. und dann am Gefängnis. Am 13.3. war eine weitere vor dem Knast für die, welche in Nürnberg gefangen gehalten wurden. Vor der Lorenzkirche hielt am 10.3. Herrmann Glaser, unser kluger und mutiger Schul- und Kulturreferent, eine großartige Rede. Er klagte das Versagen der Justiz und der Staatsregierung an und forderte, immer wieder wiederkehrend, die Verantwortlichen zum Rücktritt auf. Den Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß vor der Lorenzkirche zum Rücktritt aufzufordern, das hatte Rückgrat. Danach ging ich hinunter in die U-Bahn. Der Fahrer forderte uns bei einer völlig überfüllten Bahn auf, zurückzutreten. Es war alles so unwirklich.
Im Komm war ich damals nicht aktiv. Für mich war es ein Jugendzentrum und ich zu alt dafür. Da gefiel mir ein selbstverwalteter Club ohne Nähe zur Stadtverwaltung schon besser. Im Herbst 1981 war ich dann doch dabei. Ich begann, im Kino im Komm aktiv zu werden. Christiane Schleindl lernte ich auf einer der Massenverhaftungsdemos kennen. So begann die Kinoverbindung. Wir prägten das Programm für einige Jahre. Noch heute verwendet der Verein, dem ich damals beigetreten bin, das von mir 1982 entworfene Logo (wieder). Das freut mich sehr.
Heute arbeite ich immer noch hier, bin seit 2003 Angestellter bei der Stadt Nürnberg und das Haus ist nicht mehr wiederzukennen."
- Stephan Grosse-Grollmann, 18.2.2021
Ellen Seifermann, Leiterin der Kunsthalle Nürnberg
"Am 5. März 1981 feierten wir in meiner WG in Freiburg den Geburtstag eines Freundes, und spät in der Nacht kam telefonisch die Nachricht von den Massenverhaftungen in Nürnberg. Wir brachen die Party ab und gingen alle zusammen zum Dreisameck, der Freiburger Variante des KOMM, um dort mit vielen anderen zu protestieren. Es war kalt und die Stimmung angespannt. Weil man eine ähnliche Aktion wie in Nürnberg befürchtete, umstellte eine Menschenkette schützend das Gebäude, doch es passierte nicht mehr viel in dieser Nacht in Freiburg..."
- Ellen Seifermann, 21.02.2021
Wolfgang Kischka, Stab Bauen und Seniorenkulturarbeit
"„Mein Gott, Wolfi, weißt Du schon, was mit Deinem KOMM passiert ist?“ So begrüßte uns - Ulrike und mich - meine Mutter in Oberstdorf als wir am 6. oder 7. März 1981 auf unserer Rückreise vom Carneval in Venedig dort ankamen. Natürlich wussten wir von nichts. Seinerzeit gab es weder Handy, noch ein World Wide Web. Und wir sind aus allen Wolken gefallen. Spektakuläre Polizeiaktion, die Besucher*innen des KOMM alle verhaftet, Demonstrationen in Nürnberg… Natürlich sind wir sofort nach Hause weitergefahren und haben dann den Schlamassel direkt vor Ort miterlebt: den skandalösen Umgang der Justizbehörden mit den Inhaftierten, die ungekannte Solidarität der Bevölkerung mit den Inhaftierten, deren Eltern und dem KOMM, die Initiativen der Anwälte und den lauten Aufschrei prominenter Bürger*innen und Politiker*innen gegen den unerhörten Bruch der Rechtsordnung durch diese Massenverhaftung.
Wir sind wieder eingetaucht in ein KOMM, das auf einmal „berühmt“ geworden war, in dem es von Medien und Journalist*innen nur so wimmelte. Zeitung, Fernsehen, Rundfunk und Filmemacher. Und wo so manche Aufmerksamkeit auch mehr genossen wurde, als zuletzt gut tat. Das KOMM war immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit und so einzigartig offen für unterschiedliche soziale und kulturelle Gruppen und Milieus, wurde jetzt jedoch von den verschiedensten Jugendszenen geradezu überrannt. Punks, Skins, Müslis, Politszene, Autonome, Rocker und „Türkenkids“ (wie die Jugendlichen der 2. Generation mit entsprechendem Migrationshintergrund genannt wurden). Was für ein Durcheinander, was für ein Gegeneinander, was für ein Miteinander!
Der 5. März 1981 blieb nicht das einzige Drama bzw. die einzige krisenhafte politische Auseinandersetzung, die sich im, mit und ums KOMM herum in den 70er, 80er und 90er Jahren ereignete. Das erste und einzige bis heute, das ich schier verpasst habe, zu dem ich nicht gleich selbst vor Ort war. Aber wohl nicht nur das bekannteste, sondern vielleicht auch das bedeutendste."
- Wolfgang Kischka, 22.02.2021
Irmela Bess, Tänzerin
Eine Verhaftung
"Es hat sich nach großer Freiheit angefühlt. Zum ersten Mal hatte ich eine Babysitterin für meinen 10 Monate alten Sohn engagiert. Seit sieben Monaten war ich alleine für ihn verantwortlich. Ich war 18 Jahre alt.
Aus dem „Komm“ abtransportiert, noch in der gleichen Nacht. Erst ins Revier, dann noch kurz vor den Ermittlungsrichter, den weder der Nukki in meiner Tasche, noch meine Tränen beeindruckt haben. Gleich darauf mit sieben weiteren Frauen im Polizeibus ins Gefängnis nach Regensburg. Neben jeder ein bewaffneter Polizist und vorne sitzend mit Blick auf uns, ein zusätzlicher mit Maschinengewehr. Völlige Ohnmacht und einen maßlosen Schmerz wegen meinem Buben. Ich war dort elf Tage.
Es war für mich unfassbar, was ich dort gespürt habe. Diese Tage erlebte ich wie unter einem Vergrößerungsglas. Währenddessen und auch danach wurden meine Nachbarn von der Polizei aufgesucht und ausgefragt. Mein eigenes, und das Telefon meiner Mutter wurden abgehört. In einem Zeitungsartikel wurde ein CSU-Parteimitglied mit der Aussage zitiert, dass ich in einem Fliegerhorst dem horizontalen Gewerbe nachgegangen sei. Es ist mir Misstrauen geblieben, Angst vor Ohnmachtsgefühlen und ein großer Schmerz darüber, was diese elf Tage für die seelische Entwicklung meines Sohnes bedeutet haben.
Es gab auch positiv Bewegendes. Ungewöhnliche Einblicke in menschliches Verhalten und auf Schicksale, wie z.B. das einer sehr zarten, traurigen Bankräuberin. Es gab den sehr aktiven Kinderschutzbund, ungemein engagierte Anwälte, Leute, die auf die Straße gegangen sind und sich für uns Inhaftierte eingesetzt haben. Meine Mutter, meine tolle Familie, liebste Freunde. Ein bester Freund hat mir folgenden Satz geschrieben, als ich wieder aus dem Gefängnis zurückkam: „Wenn Du das nächste Mal auf der Bühne stehst, soll es Deine eigene sein.“ Das war wohl tatsächlich ein Teil der „Lösung“. Einige Jahre nachdem Prof. Dr. Hermann Glaser unter anderem meine Mutter und mich für ein Buch über die Verhaftungen im „Komm“ interviewt hat, bin ich ihm wieder begegnet. Da verlieh er dem „Czurda Theater“ einen Kulturförderpreis für ein Stück, in dem ich neben anderen als Tänzerin auf der Bühne stand. Der Tanz und die Kunst sind für mich der Weg gegen die Realität eine zweite, besondere Welt zu haben, in der mich solcherlei Erlebnisse nicht erreichen."
- Irmela Bess, Lauf, 23.2.2021
Christiane Schleindl, Leiterin des Filmhaus Nürnberg
"Es war im Januar 1981 als ich im KOMMKINO Verein angefangen hatte. Eigentlich wollte ich zu einer Filmeinführung, der sogenannten Otto-Göbels Filmbühne, die damals im KommKino stattfand, wurde aber von einem Sekretär - so nannte man damals die von der Selbstverwaltung gewählten oder von der Stadt angestellten KOMM-Mitarbeiter - in eine Sitzung des KOMMKINO geführt und war plötzlich mittendrin und dann die nächsten 9 Jahre dabei. Wir machten alles zusammen, Filme aussuchen, beschreiben, Programm, Vorführen und so weiter. Dort konnte jeder oder jede das engagierte Kinomachen von der Pike auf lernen, oder von den erfahrenen Cinephilen erlernen, die schon lange dabei waren und trotz Basisdemokratie ein sehr strenges Regime führten. Ich war so begeistert über die Möglichketen, dass ich jedem davon erzählte. Ich führte auch sehr gerne vor.
Für den 5. März hatte ich allerdings meinen Vorführdienst mit Miriam getauscht. Ein Freund von mir kam nach Monaten aus Indien zurück. Bis Heute mache ich mir Vorwürfe, denn Miriam war statt meiner 14 Tage lang im Gefängnis und sie war damals erst 17. Ich bekam zunächst gar nichts mit, bis mein damaliger Chef - ich arbeitete in einem Reproservice um mir das Studium zu finanzieren – mich am nächsten Morgen entgeistert anschaute und mir davon berichtete. Natürlich hatte ich ihm auch voller Enthusiasmus vom KOMM KINO erzählt und er war erstaunt was man da außer rumgammeln und haschen (das waren die damaligen Vorurteile gegen das Haus) alles machen konnte. Er dachte sofort, dass ich unter den Verhafteten wäre. Er gab mir sofort frei und ich versuchte mit Freunden mehr herauszufinden. Unterwegs zum KOMM fiel mir plötzlich ein, dass ich am 5.3. morgens beobachtet hatte, dass am Busbahnhof Polizei-Wannen standen. Als ich am Nachmittag nach Hause ging war schon der ganze Platz voll. Wie sich später herausstellte wurden die Polizeiwagen aus ganz Bayern zusammengezogen und die Polizeibeamten hatten hektografierte Haftbefehle mit immer denselben Inhalt dabei. Lediglich die Namen und Daten mussten noch eingetragen werden.
Alle die nicht rechtzeitig das Haus verließen sich zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes im KOMM befanden wurden verhaftet. Egal ob sie wirklich bei der Demo nach der Filmvorführung im Festsaal über die holländische Hausbesetzerszene waren, in der Spielothek, in der Kneipe mit Freunden diskutierten, sich im Kino einen Spielfilm ansahen, oder ihn vorführten, in der Teestube einen Tee tranken, in der Ausstellungswerkstatt arbeiteten, oder in den anderen Werkstätten. Einfach alle, die nicht rechtzeitig das Haus verließen, oder sich dachten: das wird schon nicht so schlimm werden.
Aber es wurde noch schlimmer. Das ganze Ausmaß dieses unfassbaren Skandals erschloss sich erst allmählich und umso mehr man erfuhr, umso unerträglicher und skandalöser wurde es. Täglich fanden Demos statt und verliefen vom KOMM zur Justizvollzugsanstalt in der Mannertstrasse, obwohl wir wussten, dass die 141 auf sämtliche Hochsicherheitsgefängnisse in ganz Bayern verteilt worden waren. Oder wir standen fassungslos vor dem Komm Festsaal, wenn wieder eine Ungeheuerlichkeit herauskam. Es gründete sich sofort eine Elterninitiative. Es war wunderbar wie die meisten Eltern, die eigentlich vorher Vorbehalte gegen das KOMM hatten, plötzlich wie eine Eins für Ihre Kinder kämpften. Eltern, Komm-Mitarbeiter, auch Politiker, Rechtsanwälte, Journalisten, selbst der Kulturreferent Herrmann Glaser. Alle sorgten dafür, dass schnell ein Netzwerk der Information und der Solidarität entstand, dass immer weitere Kreise zog und eine Welle der Solidarität aus der ganzen Bundesrepublik nach sich zog. Das war auch das einzig Gute, wie schnell diese Welle der Solidarität das Vorhaben vereitelte.
Es war offensichtlich ein Angriff auf das KOMM als selbstverwaltetes Kommunikationszentrum an sich von Seiten der bayerischen Landesregierung, und ein Angriff auf die Stadtregierung in Nürnberg, die zumindest versuchte mit den Hausbesetzern in Dialog zu treten. Und was taten die Verantwortlichen im angeblichen „Freistaat“ Bayern, nachdem der Skandal bundesweit bekannt wurde: Nach 2 Wochen wurden die meisten endlich freigelassen und dann wurde vertuscht. Von den letztendlich 70 Angeklagten wurde kein einziger freigesprochen, denn wichtige Akten verschwanden und so wurden die Verfahren lediglich eingestellt. Die Verantwortlichen blieben nicht nur weiter im Amt, einige machten auch noch Karriere. Trotz der verschwundenen Akten wurden Beweise mühsam gesammelt. Es stellte sich beispielsweise heraus, dass die einzige Schaufensterscheibe (ursprünglich wurden 3 genannt) von einem V-Mann der Polizei eingeschmissen wurde. Aber es nützte nichts. Einer der Richter war noch bis zu seiner Pensionierung im Amt.
Während einige der damals verhafteten Jugendlichen bis heute damit zu kämpfen haben. 14 Tage als 16, bis Mitte 20jähriger ohne Grund mit Polizeigewalt im Hochsicherheitstrakt verbracht zu werden steckt keiner so einfach weg. Das kann für manchen und manche das ganze Leben prägen. Mal ganz zu schweigen vom Vertrauen in diesen unseren Rechtsstaat. Einige der ehemals Verhafteten sind Freunde bis heute geblieben. Auch Ihnen erging es weniger gut als den Verantwortlichen. Nicht ein Wort der Entschuldigung hörten sie bis heute. Offiziell wissen die Eltern – wenn Sie noch leben- bis heute nicht, dass ihre Kinder damals verhaftet wurden.
Wenn man mich fragt, was ich dazu nach 40 Jahren denke, da fällt mir nur ein Spruch von Charles Aznavour ein: Ich bin zu alt um nicht wütend zu sein. Mir war es immer wichtig, obwohl, oder gerade, weil ich damals nicht verhaftet wurde. Immer wieder an den Tag zu erinnern, weil die damaligen Ereignisse bis heute nicht wirklich aufgearbeitet sind und deutlich machen wie fragil unser demokratisches System ist, und wie wichtig es ist von Anfang an gegen Unrecht zu kämpfen, auch wenn es einem keinen Ruhm einbringt. Es resultierten bei den Veranstaltungen auch immer wertvolle Gespräche. Besonders mit Jugendlichen, die nun genauso jung waren wie die Jugendlichen von damals. Nur mit den Jahren ist es mir immer schwerer gefallen die Freunde darauf anzusprechen. Es ist ihnen im Nachhinein nicht immer gut bekommen von den damaligen Ereignissen zu erzählen. Ja, man glaubt es kaum: Für so manchen Arbeitgeber waren Sie nicht mutig, sondern blieben trotz aller Beweise des himmelschreienden Unrechts Ex-Knackis. Andere wiederum warfen ihnen vor, was Sie denn von diesem Staat erwartet hätten.
Leider leben auch einige wichtige Zeitzeugen wie Herrmann Glaser und Michael Popp nicht mehr. Einige sprechen ja stellvertretend für alle in den Filmen, die es von den Ereignissen gibt und die wir coronabedingt digital am 5. 3. Und im Kino3 bis zum 31.3. zeigen. Darunter auch Filme, die viel von der damaligen Atmosphäre im Haus einfangen. Mit dem Filmemacher Helge Cramer, der einen der Dokumentarfilme über die Massenverhaftungen „DAS ENDE DER FREIHEIT“ sogar in die Kinos brachte, gibt es ein Gespräch via ZOOM am 5.3. um 19 Uhr.
Zum Schluß doch noch zwei Anregungen. Es wäre gut den Sohn von Michael Popp bei der Vollendung des Buches über das KOMM zu unterstützen und zwar finanziell. Es fehlt nicht mehr viel und es würde endlich ein sehr gutes Buch über das KOMM entstehen. Und es gibt zweitens zwar sehr gute Dokumentationen unter anderem von der Medienwerkstatt Franken, die auch damals eine Gruppe des Hauses war und auch 30 Jahre später an die Ereignisse erinnerte und Bücher über die Massenverhaftungen, aber ein guter aktueller Film der die damaligen Ereignisse und über das damalige KOMM an und für sich in einer guten Geschichte und mit guten Cinephilen Mitteln in universellen Dimension zeigt, der wäre wichtig überall gezeigt zu werden. Leider kann ihn Ullabritt Horn nicht mehr drehen, denn die ehemalige KOMM Kino Mitbegründerin und Filmemacherinnen lebt leider auch nicht mehr.
Sehr gerne würde ich solch einen Film im heutigen KOMM Kino Saal zeigen und mit denen am liebten diskutieren, die heute 15 bis 25 Jahre alt sind und in Nürnberg leben."
- Christiane Schleindl, 01.03.2021
Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.
0 Kommentare