Eisen im Feuer – Das Walzwerk Julius Tafel

von Simon Schütz - 22.10.2024

Nürnberg - Das Gefühl, ein glühendes Stahlstück mit einer Zange zu greifen und es in die sich unaufhörlich drehenden Walzen zu pressen, werden die wenigsten Menschen kennen. Für die Männer im Eisenwerk Julius Tafel war dies Alltag.

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Aufnahme der alten Grobstrecke bei der letzten Walzung, 1940 © Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, RWWA 130-GN4996

Fast 100 Jahre später wird in der Äußeren Sulzbacher Straße wieder körperlich hart gearbeitet. In der letzten noch stehen gebliebenen Halle des 1975 geschlossenen Walzwerks, der ehemaligen Schraubenfabrik, befindet sich seit 1988 das Museum Industriekultur. Dieses Museum wird nun nach über 30 Jahren Betrieb teilsaniert. Bauarbeiter entkernen das Gebäude, um den Brandschutz auf den neuesten Stand zu bringen und etliche weitere Sanierungsmaßnahmen anzugehen. Das Museum musste hierfür fast vollständig ausgeräumt werden, wodurch sich die Möglichkeit ergab, auch Teile der Dauerausstellung neu zu planen. Da der historische Ort hier künftig eine deutlich wichtigere Rolle spielen soll, beginnt die Recherche bei der Geschichte des Eisenwerks.

Julius Tafel gründete sein Eisenwerk im Jahr 1875. Der Württemberger war zuvor Direktor eines Stahlwerks in Gerlafingen. Zum Umzug nach Nürnberg motivierte ihn wahrscheinlich sein stiller Teilhaber Theodor Cramer-Klett, Inhaber der Maschinenfabrik Klett & Co., die 1889 zur MAN wurde. Cramer-Klett steuerte die Hälfte des Kapitals bei, verkaufte dem Unternehmen Grundstücke und wurde zum Hauptkunden des Eisenwerks. Der Grund für das Engagement: Für den Bau von Eisenbahnwagons benötigte seine Maschinenfabrik viel Stahl und ein Eisenwerk in der Nachbarschaft versprach Versorgungssicherheit. Das Eisenwerk nutzte dafür die Stahlreste der Maschinenfabrik wie auch weiterer Nürnberger eisenverarbeitender Betriebe und bereitete diese für seine Stahlproduktion wieder auf – eine äußerst vorteilhafte Ausgangslage.

Gleich nach der Gründung hatte das Eisenwerk ein schweres Problem: Arbeitskräftemangel. Zwar gab es in den Fabriken Nürnbergs Arbeitskräfte, viele aber stammten aus dem Handwerk. Für die Herstellung von Stahl wurden jedoch Spezialisten wie Schmelzer, Puddler und Walzer benötigt. Julius Tafel löste das Problem 1878 durch die Anwerbung französischer Arbeiter, die dann auch heimische Kräfte anlernten. Ein weiteres Problem waren die zur gleichen Zeit aufkommenden Innovationen in der Stahlherstellung. Das Nürnberger Eisenwerk nutze eine Technik aus dem 18. Jahrhundert. Neuere Techniken, die andernorts bereits eingesetzt wurden, verbesserten das Stahlgießen. Das setzte „klassische“ Stahlproduzenten wie das Eisenwerk Julius Tafel & Co. unter Druck, da deren Stahl nun teurer in der Herstellung war. Zu diesen Umständen kam ein Umsatzeinbruch der Maschinenfabrik Cramer-Klett hinzu. Durch die „Gründerkrise“ in den 1870er Jahren brachen im Eisenbahnsektor die Aufträge ein.

Das Unternehmen überstand diese schwierigen Jahre nicht zuletzt aufgrund der guten finanziellen Situation Theodor Cramer-Kletts und des unermüdlichen Arbeitseinsatzes von Julius Tafel. Die Mühen zahlten sich aus: Ab den 1880er Jahren erwirtschaftete das Eisenwerk wieder Gewinne. 1891 zog sich Julius Tafel zurück. Er übergab die Firma an seine Söhne und ging zurück nach Stuttgart, wo er zwei Jahre später verstarb. Heinrich und Wilhelm Tafel erweiterten das Portfolio des Unternehmens. Zum Stahl hinzu kamen nun Telegrafenmaterialien, Schienennägel und Schrauben. Die Brüder wandelten auch die Unternehmensform in eine Aktiengesellschaft um.

Doch das Kapital reichte nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr aus, um notwendige Investitionen in das Eisenwerk zu tätigen. Lampert Jessen, seit 1913 neuer Direktor des Werks, verschaffte der Firma diesen entscheidenden Wachstumsimpuls. Er sorgte dafür, dass ab 1920 ein Stahlkonzern aus dem Ruhrgebiet, die Gutehoffnungshütte, in den Betrieb einstieg. Mit deren immenser Finanzunterstützung wurde das Eisenwerk modernisiert. Zwei Fertigungshallen für die Schraubenproduktion und ein stattliches Verwaltungsgebäude entstanden. Dies schuf die Grundlage für weitere 50 Jahre Stahlproduktion. Von der Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg profitierte das Unternehmen – auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern – enorm. Trotz eines kurzen Produktionseinbruchs in der Nachkriegszeit stiegen die Verkaufszahlen bald wieder an, da nun auch Baustahl hergestellt wurde. Erst durch den Strukturwandel der 1960er und 1970er Jahre verschlechterte sich die Auftragslage und das Werk musste schließen. 1975 endete die Unternehmensgeschichte genau 100 Jahre nach der Gründung.

Die neue Dauerschau thematisiert Indus­triegeschichten wie die des Tafelwerks. Aber auch Geschichten von erfolgreich gemeistertem Wandel, vom Aufstieg neuer Unternehmen und Branchen, von Unternehmern und Erfindern, Arbeiterinnen und Arbeitern und ihrem Kampf um gerechte Arbeitsbedingungen, von Veränderungen des Alltags und der Gesellschaft in der Zeit der Industrialisierung und danach werden Teil der Präsentation sein.

https://museen.nuernberg.de/museum-industriekultur

Museum Industriekultur
Äußere Sulzbacher Straße 62
90491 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – Fr 9 – 17 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-38 75
museum-industriekultur.de

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