„Es war ein trauriger Abschied“

Die Erinnerungen Ludwig Erhards an seine Kanzlerzeit von 1963 bis 1966 erscheinen, fast 50 Jahre nachdem er als Bundeskanzler zurückgetreten ist. Warum erst jetzt?
Das Manuskript entstand 1975/76, also zehn Jahre nach Erhards Rücktritt und kurz vor seinem Tod. Verfasst hat es als „Ghostwriter“ der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans „Johnny“ Klein, der in der Wendezeit 1989/90 Pressesprecher von Helmut Kohl war. Er fühlte sich Erhard sehr verbunden – und hat auch seinen Stil und Sprachduktus gut getroffen. Diese „Auftragsarbeit“ gefiel aber Karl Hohmann, dem wichtigsten damaligen Vertrauten Erhards und wohl auch Auftraggeber, am Ende nicht und so landete sie in Bonn im Tresor der damals gerade neu gegründeten Ludwig-Erhard-Stiftung. Die Blätter entdeckte dort vor kurzem Ulrich Schlie, ein Kollege von mir, und vermittelte sie dem Econ Verlag, der ja alle Bücher von Erhard verlegt hat.
Der Klappentext des Buches betont dessen „unglaubliche Aktualität“ und zieht Parallelen zur heutigen Situation in Politik und Regierung. Wie schätzen Sie das ein?
Das Buch behandelt nahezu ausschließlich Erhards Kanzlerzeit. Seine großen historischen Leistungen – das Auslösen des marktwirtschaftlichen Urknalls 1948 durch Aufhebung fast aller staatlichen Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften und die anschließende Implementierung der Sozialen Marktwirtschaft gegen immense Widerstände – werden lediglich knapp gestreift. Die Kanzlerschaft war besonders nach der haushoch gewonnenen Bundestagswahl 1965 von zunehmenden internen Querelen innerhalb der Union und mit dem FDP-Koalitionspartner geprägt. Dauerstreitthema war der Haushalt, der ausgeglichen werden sollte. Da in der Ära Adenauer/Erhard keine Schulden aufgenommen wurden – kein Witz! –, musste um echte Einsparungen intensiv gerungen werden. Daran ist die Koalition letztlich zerbrochen. Diese Parallelen zur aktuellen Situation konnte sich der Verlag nicht entgehen lassen.
Erhards Kanzlerschaft wird oft als glücklos beschrieben. Wie hat Ludwig Erhard das Amt des Bundeskanzlers geprägt, und was waren seine wichtigsten politischen Ziele?
Ludwig Erhard fehlten die Kraft, die Härte und das Raffinement für das Kanzleramt. Das Instrument der Richtlinienkompetenz hat er nur einmal, bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel, eingesetzt. Sein wichtigstes außenpolitisches Ziel war die feste Verbindung mit den USA. Darüber schwächte er die Verbindungen zum Frankreich de Gaulles. US-Präsident Johnson dankte ihm das nicht, sondern ließ ihn bei den Stationierungskosten im Stich und trug so mit zu seinem Sturz bei – der allerdings ganz entscheidend von Erhards Rivalen innerhalb der CDU/CSU von Barzel bis Strauß vorangetrieben wurde.
Welche Rolle spielte Erhards Wirtschaftspolitik während seiner Kanzlerschaft?
Die Wirtschaftspolitik trug ebenfalls zu seinem Sturz bei. Die Bundesrepublik erlebte damals nach einem Jahrzehnt mit unglaublichen, teilweise zweistelligen Wachstumsraten ihre erste kleine „Mini-Rezession“ – der SPIEGEL titelte „Schwarze Fahnen über der Ruhr“. Erhard als „Vater des Wirtschaftswunders“ fand darauf keine Antwort. Das berührte seine Kernkompetenz, ließ ihn hilflos erscheinen – und eine Landtagswahl in NRW ging für die CDU krachend verloren. Das war der Anfang vom Ende.
Welche wichtigsten Herausforderungen und Krisen musste Erhard während seiner Amtszeit bewältigen, und wie ging er damit um?
Zentrale Krise war der Ost-West-Konflikt, der Kalte Krieg. Erhard suchte nach Wegen der Entspannung und lancierte die berühmte „Friedensnote“, die Erwin Wickert formuliert hat. Und er versuchte mit den Passierscheinabkommen die „Mauer“ etwas durchlässiger zu machen. Aber ein wirklicher Durchbruch gelang ihm nicht, denn mit der DDR zu reden, kam für ihn – anders als bald darauf für Willy Brandt – nicht in Frage. „Wandel durch Annäherung“ hielt Erhard für kompletten Unsinn.
In der LEZ-Dauerausstellung wird das Ende von Erhards Kanzlerschaft als „Kanzlersturz“ übertitelt. Warum trat er schließlich als Kanzler zurück?
Erhard trat zurück, weil er in der Endphase ohne jede Hausmacht, ohne getreue Mitstreiter und kampfstarke Verbündete gewesen ist. Entscheidend war dabei, dass die CDU/CSU-Fraktion, das eigentliche Machtzentrum der Regierungspartei, rapide von ihm abrückte. An seinem letzten Abend im Kanzleramt umgaben ihn noch die Familie und die Männer des Begleitkommandos – und Johnny Klein, der spätere Verfasser der Memoiren. Es war ein trauriger Abschied.
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