Mit „Wunderarzt“ und Prominenz: Neumarkter Ausstellung über eine Illustre Wandergruppe

Er war der Arzt, dem die Promis im Deutschen Kaiserreich vertrauten: Zwischen dem Mediziner Ernst Schweninger und seinen Patienten entwickelte sich häufig eine lebenslange Freundschaft. Eine zeitgenössische Reportage liefert Hintergrundwissen dazu – und Ausstellungsobjekte lassen es lebendig werden.
Rückblick in den Sommer 1882: Hohn und Spott erntete der seinerzeit als Berliner Kritikerpapst bekannte Schriftsteller Paul Lindau für seine Reisepläne, die ihn und seine beiden Begleiter in den Bayerischen Wald führten. Nicht die damals schon beliebten Bayerischen Alpen waren das Ziel, stattdessen wollten die "verwöhnten Großstädter" den "deutschen Urwald sehen". Wer aber waren die beiden namentlich nicht genannten Reisegefährten, über die Lindau in der Reportage mit dem Untertitel "Eine Sommerfahrt durch den Bayerischen Wald mit Leitmotiven des Doctors" in seiner Zeitschrift Nord und Süd im September 1882 berichtete?
Ein Foto aus dem Nachlass Ernst Schweningers gibt Aufklärung: Zwischen dem Arzt mit seinem unverkennbaren schwarzen Vollbart und Paul Lindau sitzt – die Hände auf einen Wanderstock gestützt – Bill Bismarck, der jüngste Sohn des Reichskanzlers. Letzterer, der in der Reportage nur als "lieber Freund aus Berlin" bezeichnet wird, hatte sich bereits 1881 aufgrund seiner Gichtbeschwerden hilfesuchend an Schweninger gewandt, der ihn umgehend für einige Tage in Berlin aufsuchte.
Über den Patienten Wilhelm von Bismarck (Bill) sagte Schweninger, dass er bei ihm zum ersten Mal die "individuelle Behandlungsweise" angewendet habe, bei welcher der Mensch und seine "ganze Lebensweise in Betracht gezogen werde." Als Bill Bismarck zehn Monate später, am 30. Juni 1882, mit Paul Lindau auf dem Münchener Bahnhof eintraf, erkannte ihn Schweninger zunächst gar nicht wieder. Die Pfunde waren gepurzelt – 60 insgesamt – und die schmerzhaften Gichtanfälle völlig verschwunden.
So konnte nun der zweite Teil der Therapie, die körperliche Bewegung an der frischen Luft, mittels einer Wanderung durch den Bayerischen Wald in Angriff genommen werden. Laut Lindaus Reisebericht fuhren die drei zunächst mit der Eisenbahn nach Zwiesel und heuerten dort einen Kutscher an, der sie während ihres Aufenthaltes zu Gasthäusern und Ausflugszielen brachte. In langen Fußmärschen erklommen sie die Gipfel vom Großen Arber und Rachel und mischten sich unters Volk beim Kegelabend der Honoratioren oder der Einweihung einer neuen Schankstube.
Trotz einiger Unannehmlichkeiten und Begegnungen mit verdrießlichen Zeitgenossen ließen sich die drei Reisegefährten ihre gute Laune nicht verderben. Schweninger oder vielmehr der "befreundete Münchener Arzt" kommt im Text im eigentlichen Sinne gar nicht zu Wort, stattdessen überlässt ihm Lindau die Rolle eines Kommentators, der mit dem Anstimmen von Leitmotiven aus Wagners Parsifal die jeweilige Situation ironisch zuzuspitzen vermag.
Als untrügliches Zeichen der damals im Bayerischen Wald geschlossenen Freundschaft zeigt die Sonderausstellung des Stadtmuseums ein Zigarrenetui mit dem Bismarck‘schen Familienwappen – ein Geschenk des Kanzlersohns an seinen Arzt. Seine handschriftliche Widmung "236 – 176, Amfortas Bill seinem Parsifal Schweninger, Christiane Löhr, 2017, in ihrem Atelier in der Toskana. Rechts ihre Skulptur Durchlässige Halbkugel aus Baumblüten. Fotos: Salvatore Mazza, David Ertl Bayer. Wald, Juli 1882" beziffert zunächst seine Abnahme an Körpergewicht und nimmt dann augenzwinkernd Bezug auf Richard Wagners letztes Werk. Schließlich hatte Schweninger auch ihn von seinen Qualen erlöst.
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