Gruppenausstellung mit Sinta Werner (Berlin), Tobias Buckel (Nürnberg),
Heike Gallmeier (Berlin) und Gloria Zein (Berlin)

Vier künstlerische Positionen greifen mit Malerei, Skulptur und Rauminstallation in die Räume des Kunsthauses ein und verwandeln diese in eine Reflexionsfläche über das vermeintlich Untrügliche. FALLING APART im Kunsthaus Nürnberg inszeniert Brüche sowie Bedeutungsverschiebungen und spürt der Illusion von Gewissheiten nach.

Jede Künstlerin, jeder Künstler bespielt einen der vier Räume des Kunsthauses mit auf den Raum hin konzipierte Arbeiten. Im großen Mittelgang verschränken sich die einzelnen Positionen im bewussten Bezug zueinander. Die Arbeiten verstehen sich als ein Plädoyer, an der Komplexität der Welt fest zu halten und gleichzeitig die Schönheit darin zu entdecken.

Gang und Raum 4 – Tobias Buckel

Er lotet in seiner Malerei die Übergänge zwischen Figuration und Abstraktion aus und entwickelt Bilder, die unsere Sehgewohnheiten irritieren. Fotografische Vorlagen – meist architektonische Räume und Konstruktionen – dienen ihm als Ausgangspunkt.
Die Gemälde entstehen in einem langwierigen Prozess des Suchens und Abwägens, bei dem erste Ansätze verworfen und übermalt werden. Die Überlagerungen schichten sich zu Farbräumen, die Tiefe evozieren und fast landschaftlich gedacht werden können. Im Gegensatz dazu stehen horizontale und vertikale Setzungen, die das Gefüge wieder in die Fläche zurückholen und dem Betrachter den Eintritt ins Bild teilweise verstellen.

Tobias Buckels Bildlösungen erscheinen auf den ersten Blick unterschiedlich, doch in der Zusammenstellung werden subtile Bezüge und Querverweise sichtbar.

In Raum 4 der Ausstellung befinden sich vier große monochrome Gemälde und 4 ebensolche Zeichnungen von Tobias Buckel. Diesen monochromen schwarzweißen Arbeiten und ihrer mannigfaltigen Grau Schattierungen treten im Gang farbenfrohe flächige Wandmalereien gegenüber, die mit bicoloren Flächen die Architektonik des Kunsthauses, größenverändert, wiederaufnehmen.

Seine Gemälde sind Inszenierungen von Inszenierungen, da bereits die fotografischen Vorlagen, mit denen der Künstler als Ausgansmaterial arbeitet, inszenierte Orte und konstruierte Räume zeigen. Letztlich sind seine gemalten Räume auch keine Räume. Weder besitzen sie Volumen noch sind sie den Gesetzen der Perspektive oder der Schwerkraft verpflichtet. Physikalische, mathematische und visuelle Gewissheiten gelten nicht, da sie immer wieder gestört und hinterfragt werden. Die finalen Kompositionen erinnern viel eher an imaginierte Räume und Landschaften, denn wie in einem Traum oder einer nebulösen Erinnerung existieren keine verlässlichen Parameter der Welterklärung.

Raum 1 – Heike Gallmeier

In Heike Gallmeiers Arbeit verbinden sich Elemente von Skulptur, Malerei und Fotografie. Sie verarbeitet diverse Materialien zu skulpturalen Installationen, aus denen Fotografien entstehen. Sie nutzt gewissermaßen den Raum als Bildträger, um mithilfe von gefundenen Objekten und verschiedenen Materialien Malerei im Raum zu konstruieren. Die jeweilige Installation ist für einen speziellen Blickwinkel – den der Kamera – gebaut. Der dreidimensionale Raum wird auf die spätere flächige Wahrnehmung im Foto hin angelegt. Daraus ergeben sich Kippmomente zwischen Räumlichkeit und Fläche, Objekt und Abbild, Chaos und Ordnung. Materialien, Objekte und Abbildungen zirkulieren zwischen unterschiedlichen Techniken, Kontexten und Wahrnehmungsebenen.

Ihre Arbeit ist eine ständige Auseinandersetzung mit dem Bild und seiner ihm eigenen Problemstellungen: Fläche, Farbe, Raum, Perspektive, Rahmen und wie kann man diese Einschränkungen erweitern?

Die installative Arbeit „Superimposition“ im Zentrum des ersten Ausstellungsraumes konfrontiert die Besucher*innen sofort mit allen Aspekten des Sehens und Wahrnehmens, worum es bei dieser Ausstellung geht. Die Installation vereint fragmenthafte Bildausschnitte, Ausdrucke auf Fotopapier, Acrylfarbe, Leinwand, Klebeband, Gewebe, ineinander geschachtelte Keilrahmen. Alle diese Materialien bilden eine fragile Skulptur, aus Farbe und Fläche, die sich zunächst jeglicher Interpretation widersetzt. Andererseits zwingt sie die Betrachtenden dazu, sich ihr zu nähern, sie zu umkreisen, den Blick schweifen zu lassen, den eigenen Körper durch den Raum zu bewegen, mit dem Willen zu verstehen, zu erfassen. Jede veränderte Position eröffnet neue Blickachsen.

Raum 2 – Gloria Zein

In Zeins Inszenierungen verschmelzen wertvolle Rohstoffe und arbeitsintensive Fertigungsprozesse mit Alltagsgegenständen und transformierten Abfallprodukten zu eigenständigen, assoziativen Gebilden. Dieses Vorgehen resultiert aus ihrem Unbehagen mit Kategorien von Wahrheit, Wert und Wissen.

Gloria Zeins Skulpturen sind Performer. Sie sind sie zugleich autonome Wesen und Akteure, die Zein meist in Gruppen einsetzt, um ihr Umfeld zu aktivieren und neue Zusammenhänge zu erzeugen. Die Bezugnahme auf den vorgefundenen Ort wird durch erfundene Erzählmomente und skulpturale Zweckentfremdungen erweitert: So verweisen ihre Arbeiten immer auch auf imaginierte Zusammenhänge und Situationen jenseits des tatsächlich Gegebenen.

Wechselfelle

Die Rede war von einem Bruch
der Unordnung,
mit der sich erst befasste, wer zuvor
die Pforte der streifenden Zunge passierte.

Diese gebe sich leicht zu erkennen
für jeden, der abbiegen wolle.

Und die Substanz
– ja, die Substanz –
sei ebenfalls hinlänglich bekannt,
doch in ihrer vielfältigen Wirkung
unterschätzt.

Die Schwierigkeit, so heißt es,
ergebe sich erst auf dem Heimweg
wenn im Bewusstsein der Suche nach Weitsicht
der Wanderer davon berichten wolle.

Denn die Erfahrung ließe sich
– in ihrer Kultur –
nicht teilen, nur machen.

 

Bei Gloria Zeins Installationen geht es, wie bei den anderen vier künstlerischen Positionen, darum einer Suchbewegung zu folgen. Es ist eine ständige Hinterfragung der Permanenz von Objekten, mittels Materialität und Formensprache. Das Material der Installation weist aufgrund seiner Haptik und Symbolik zum Dialog zwischen Betrachter*in und Skulptur: Wie weit darf ich auf dem Steg gehen, wie sicher ist er, was würde passieren, wenn ich den Raum beträte? Verweist die Installation mit dieser ersten Verunsicherung auf Fragestellungen aus der Pandemie oder hat sie damit gar nichts zu tun? Die Hanfmatten aus denen die Objekte und Bodenflächen sind, wozu dienen sie normalerweise, wieso dieses Material und kein anderes, spielt Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung eine Rolle? Die Betrachtungsposition auf dem Steg ist somit eine Verweilposition zur Selbstbefragung, zur Eröffnung des Dialoges zwischen der Installation und dem Ich.

Raum 3 - Sinta Werner

Ihre Kunst spielt mit der Beziehung zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, Realität und Abbild, physischer Präsenz und Projektion und der Verzahnung von virtuellem und realem Raum. In ihren Fotocollagen, Installationen und Skulpturen nutzt sie die Verdoppelung physischer Realität durch Scheinräume oder Spiegel um eine Irritation und Täuschung des Auges hervorzurufen. Sie beschäftigt sich in ihrem Schaffen mit dem geometrischen Rationalismus der Architektur der funktionalistisch geprägten Moderne.

Raumhäutung steht für den Zerfall der Kulisse, für eine Fassade, die nicht aufrechterhalten werden kann und für die Befreiung aus einer Maske / aus einer Reality-Show, in der Privatheit kleingeschrieben wird und allgegenwärtige Überwachung die Gegenwart zum Theaterstück werden lässt. Das Thema der Überwachung in Form von Datensammlung bei Konzernen wie Google und Facebook ist dennoch ein brandaktuelles Thema und auch wenn die Informationen in erster Linie kommerziellen Absichten dienen, bleibt es beängstigend was passiert, wenn sie in die Hände von totalitären Regimen gelangen.

Das Vexierspiel der Raumdimensionalität und ihrer Übertragung auf Objekte an den Stellwänden des Kunsthauses führt sich in der Rauminstallation fort. Hier werden mit feinen Papierarbeiten, die Raumlage der Stellwandobjekte mittels Fotografie und Kopie „verschoben“. Der schon vorhandenen Dreidimensionalität wird scheinbar eine weitere Dimension zugestellt. Das Objekt beginnt eine Art Eigenleben zu führen.

Alle Begleitveranstaltungen zur Ausstellung finden Sie im Veranstaltungskalender!

Die Ausstellung lädt ein, sich einen Moment fürs Sehen zu nehmen. In einer Zeit da Nachrichten und Veränderungen tagtäglich die Konzentration des Einzelnen beanspruchen, bietet diese Ausstellung Raum für das bewusste Wahrnehmen. Jede der vier künstlerischen Standpunkte hat eine eigene Herkunftsgeschichte, die sich in der Gesamtschau zu einer einheitlichen Erzählung verbindet. Vielfach entstehen Irritationen, Täuschungen und neue Sichtachsen, so dass die Kontemplation, die Ästhetik immer im Fokus der Rauminszenierung und -wahrnehmung bleibt.

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