Raum 1: Innovation - Der politische Ort 

Raum 2: Innovation – Der sozioökonomische Ort

Raum 3: Innovation – Der kulturelle Ort

Raum 4: Der zukünftige Ort: Transformation ohne Geländer

Die Ausstellung Lebens(t)räume will mit einem kritischen Blick in die Vergangenheit und einem suchenden Blick in die Zukunft, das Phänomen Künstlerhaus Nürnberg erforschen. Trotz seiner wechselvollen Geschichte zeichnet es sich als ein Ort aus, an dem Kultur beheimatet ist. Zu Zeiten des KOMMunikationszentrums ließ es sich gar als „Seismograph der Gesellschaft“ bezeichnen, fanden doch viele Gruppen hier einen Raum für Diskussion, Politik, Kultur und Aktion. Weithin bekannt ist in diesem Kontext die Massenverhaftung von 1981, während viele andere Teile seiner Geschichte deutlich diffuser sind: von Kunst- und Kulturschaffenden, die bereits in den 10er und 20er Jahren versuchen, Nürnbergs Bevölkerung Kunst- und Weltsicht nahezubringen, über „deutsche“ und „entartete“ Ausstellungen der Nationalsozialisten in den 30ern, zu einer Umnutzung als „American Club“ durch die US-Armee in den späten 40er und frühen 50er Jahre. Fast 15 Jahre fristete es danach als Lager und Interimshochschulgebäude vor sich hin.
 

Erst in den 1970er Jahren rückt das Künstlerhaus wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein, so dass der Fokus der Ausstellung sich auf die letzten 50 Jahre richtet - eine Zeit, in der das KOMMunikationszentrum bundesdeutsche Kulturgeschichte geschrieben hat. (Hier wurde die Soziokultur von der Theorie zur Praxis, die „Neue Kulturpolitik“ wesentlich mitkonzipiert und das Haus zum Gründungszentrum der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.). So wird anknüpfend an seine kulturellen und politischen Anliegen von damals in der Ausstellung vor allem auch gefragt, wie ein zentraler Kulturort mit den aktuellen Entwicklungen in Sachen Umwelt, Verkehr, Stadt und Klima umgehen könnte. Lebens(t)räume oszilliert, durchaus auch im Geiste des KOMM, immer zwischen Utopie und der Kontingenz des sozialen Raumes.

 

 

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Aufbruch: Mehr Demokratie wagen!

In den 1960ern kämpft Deutschland noch mit den Nachwirkungen des Krieges, darunter vor allem der Bekämpfung der geistigen Folgen der NS-Zeit, und der Eroberung und Ausgestaltung der sozialen und politischen Räume der BRD. Fraglich bleibt in dieser Zeit allerdings noch, wer dieses Nachkriegsvakuum wie und mit wessen Zustimmung füllen soll und kann. Sicher hingegen ist eine allgemeine Aufbruchsstimmung auf allen Gebieten der Gesellschaft, die Schüler:innen und die Student:innen- und Frauenbewegung für sich beanspruchen. Leitlinie ist dabei Willy Brandts Diktum „Mehr Demokratie wagen“. Dieser Versuch intellektueller Selbstanerkennung manifestiert sich schließlich als Kulturkampf, der in Form von Verweigerung und Demonstration öffentlich ausgetragen wird.

Erste Krisenmomente

In den 1970ern tauchen erstmals Probleme auf, die größtenteils bis heute noch nicht gelöst sind. Belastend sind neben den weiterhin immer noch rigiden Gesellschaftsstrukturen, die Ölkrise, Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, RAF-Terror. Die  Streichung des Schwulen- sowie des Kuppeleiparagraphen und Erhards Vorstellung des „Wohlstand für Alle“ werden hinfällig - die ersten beiden waren längst überflüssig, der letzte verschleierte auch bestehende Klassenkonflikte. In der Kultur mischt die (stark anglo-amerikanisch geprägte) Gegenkultur die Gesellschaft kräftig auf (Coca Cola, Woodstock, Pop und Rock…). 

Der „Kulturkampf“ in Nürnberg arbeitet sich auch an der „Frage der Belegung " des Künstlerhauses ab. 1966 fragen die Nürnberger Nachrichten nach der Zukunft des Hauses: „Galerie oder Garage?"
Die autofreundlichen Nürnberger:innen, die zu dieser Zeit immerhin noch eine Autobahn durch die Stadt bis in deren Mitte diskutieren, entscheiden sich erstaunlicherweise für die Galerie.

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Konsumterror

Eng mit den politischen Anliegen der KOMMler:innen sind auch die ökonomischen verbunden. Es ist klar, dass man, dem Zeitgeist entsprechend, gegen den Kapitalismus ist, der die aktuelle Lage ja zu verantworten hat – aber was heißt das? Zum einen äußert sich diese Haltung, im Sinne Adornos, in einer Konsumkritik, die die „Freizeit- und Kulturindustrie“ zum „Konsumterror“ zuspitzt. Zum anderen ist es vor allem die Profitmaximierung, die konsequent vermieden werden muss. Dabei wird vor allem an das Hauptklientel des KOMM, die jungen Menschen mit kleinem Geldbeutel, gedacht. Dass diese antikapitalistische Haltung in der Praxis schnell beginnt Feuer zu schlagen, wird beim Betrieb der KOMM-Kneipe sichtbar: Das Grübeln über die Bepreisung der Getränke entwickelt sich schnell zu der Grundsatzfrage, ob der Thekenservice als Dienstleistung nicht allgemein abzulehnen und gegen die Idee des „Selbermachens“ sei. Als dann auch noch Konsument:innen weicher Drogen einen Gleichheitsanspruch gegenüber den Alkohol Konsumierenden geltend machen wollen, scheint man so schnell auf keinen Nenner zu kommen. 

Richtig hoch kocht die Diskussion noch einmal, als es 1979 um die Eröffnung der KOMM-Disco geht. Es bilden sich das „Kopf“ und das „Bauch“ Lager. Die „Kopfler“ argumentieren den Massen- betrug durch die Kulturindustrie, weil das Tanzen, Trinken und Musik hören in der Disco lediglich eine Alltagsflucht sei und billiger, profitgeiler Unterhaltung den Vorschub leiste. Demgegenüber sehen die „Bauchler“ im Tanz eine Emanzipation des Körpers, schließlich stillt er das Bedürfnis nach Bewegung, fördert eine freie Entfaltung des Körperbewusstseins, gibt Rhythmusgefühl et cetera. 

Sie meinen: „Den soldatischen Zwängen der Nazizeit und den leibfeindlichen Tra- ditionen, mit denen die klassenkämpfer- ischen, dogmatischen Linken unterwegs sind, kann man nur durch die „Befreiung der Körper“ entgehen.“ Insofern sei das Disco-Projekt als Emanzipation zu verstehen.
Sehr bald stellen sich jedoch auch hier wieder die praktischen Fragen: Wen lässt man rein? Wie verhindert man sexuelle Belästigung gegenüber Frauen? Darf man Eintritt verlangen? …

Einige dieser Probleme scheinen ungelöst zu bleiben, Gewalt, Drogen, Rassismus, Sexismus und Frauen-  feindlichkeit gehören von Anfang an zu begleitenden Fragestellungen im offenen Türbereich aber auch bei diversen Kultur- veranstaltungen.. Dem Andrang des Publikums tut das jedoch keinen Ab- bruch, und so gehört die KOMM-Diskothek, unter wechselndem Namen, stets zum Hauptprogramm.

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Say Goodbye KOMM

„The Times They Are a-Changin´“ kommentiert 1997 der Schul- und Kulturreferent der Stadt Nürnberg, Georg Leipold, die Vollendung des 1. Umbauabschnitts des Künstlerhauses. Im Hinblick auf die wechselvolle Geschichte des KOMM ist dieses Bob Dylan Zitat ambivalent: auf Zerbombung im Krieg folgt Wiederaufbau, dann eine Umnutzung als pädagogische Hochschule, trefflich zum Dürerjubiläum 1971 soll es dann abgerissen werden, um dem KÖMA (Galerie und Ausstellungskomplex KÖnigstraße/MArienstraße) zu weichen. Das KÖMA wird jedoch nicht realisiert, die Baustelle KOMM bleibt und wird von den Aktiven selbst auf Vordermann gebracht. Dabei hilft später auch das ABM-Projekt, das arbeitslosen Jugendlichen eine Chance auf Ausbildung ermöglicht.
Das manchmal zu wünschen übriglassende Mitwirken der Stadt zum Erhalt des Gebäudes kompensiert diese später mit allzu großer Aufmerksamkeit. Die von Oberbürgermeister Peter Schönlein erdachte „Kulturmeile“ soll vom Cinecitta, BZ über das Künstlerhaus und das Neue Museum Nürnberg zum Germanischen Nationalmuseum und zum Staatstheater verlaufen. Dass das KOMM dafür nun saniert werden soll ist klar, dass die Stadt mit der Konzeption der „Kulturmeile“ stärker in den Selbstverwaltungskomplex eingreift ist eine logische Konsequenz, dass die KOMMler:innen dagegen kämpfen ist ihnen ein Imperativ.
Mit dem Sieg der CSU über die SPD in der Stadtratswahl 1996 ändert sich jedoch alles. Der neue Oberbürgermeister Ludwig Scholz setzt mit einem ersten Schlag an dem „Schandfleck am Königstor“ den Garaus zu machen – 18 000 Stimmen aus der Stadt für ein Bürgerbegehren zum Erhalt des KOMMs. Umso tragischer ist es, dass das KOMM sich ein Jahr später in einem komplizierten und komplexen Verfahren quasi „selbst“ abschafft, bzw. das Ende des Projektes einer Abhängigkeit von Gnaden der nun konservativ geprägten Stadtpolitik vorzieht – die Selbstverwaltung wird zum Mythos. Der Markenkern des KOMM, seine Pluralität wird ihm zum Verhängnis, die einzelnen Gruppen finden keine einheitliche Linie, keinen Kompromiss – die CSU siegt. 

Say Hello K4

In nun städtischer Verwaltung bleiben dem Künstlerhaus, das nun K4 heißt, jedoch viele seiner alten Gruppen verhaftet. Die neue Leitlinie, unter Georg Leipold, heißt „Polykulturlabor“. Unter der neuen Ausrichtung wird der kulturelle Bereich des Hauses nun massiv ausgebaut, während die soziale Funktion kaum mehr eine Rolle spielt. Das Haus integriert sich in die gesellschaftliche kulturelle Aufbruchsstimmung der spätneunziger- und nuller Jahre. Neben der „Schwulen und Lesben-Gala“ oder dem „Blues will eat“, fanden als bald „Mischen“, „Belly Cloud“, „Nightliner“, „Soul Weekender“, „Russendisco“, Shantals „Buccovina Club“, „Lady Fest“ und viele andere Party-, Techno- und DJ-Veranstalter Einzug ins Haus. Allerdings kamen auch neue Gruppen hinzu Theater 4, die Computergruppe, die bayerische Schüler Mitverwaltung, um nur einige zu nennen. Und das Haus wurde zu einem zentralen Festivalort vor allem für das Kino. Das Filmfestival Türkei Deutschland, die Nuremberg International Filmfestival oder die Frauenfilmtage prägen neben den alten Gruppen das neue Kulturhaus. Währenddessen wird das Haus weiter umgebaut, nicht immer im Sinne der Kulturschaffenden. Glas steht für Transparenz - und für Gewächshäuser.

Das personell ständig unterbesetzte K4 weicht 2008 unter dem neu gegründeten Dach der Kulturdienststelle KuKuQ dem nun wieder so benannten Künstlerhaus, das bis heute das Kulturprogramm dort verantwortet. Auch unter diesem Dienststellenträger wird das Kulturangebot weiter ausgebaut, Tanz- und Theaterveranstaltungen erobern zusätzlich den Festsaal. Das Internationale Figurentheaterfestival findet im Künstlerhaus eine ideale Spielstätte gerade für Experimentelles, die Digitalkultur rückt zunehmend stärker in den Fokus und auch das Kunsthaus wächst nun im Verbund und direkten Austausch mit Kunsthalle und Kunstvilla zu einem der großen Ausstellungsplayer in der Stadt.  Der letzte Bauabschnitt (2019 – 2022) wird nun, fast 30 Jahre nach Beginn des ersten Bauabschnittes, fertiggestellt. Auch in diesen Bauabschnitten lässt sich der jeweilige Zeitgeist abbilden, in Bauabschnitt 1, die Wiederherstellung der ursprünglichen Hülle, vor allem unter dem Gesichtspunkt des Denkmalschutzes (eine weitsichtige ökologische Sanierung, obwohl von KOMM- Mitarbeitenden gefordert, wurde damals leider versäumt), in Bauabschnitt 2 ein völliger Neubau aus Glas und Stahl (der sog. Glasbau, leider auch, energietechnisch betrachtet, wenig nachhaltig) und im 3. Bauabschnitt eine Vermengung der alten Substanz mit der neuen und bestehenden Formensprache (und erstmals werden nachhaltige Konzepte in der Materialität einbezogen); eine neue Ära des Künstlerhauses beginnt.

 

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Soviel Zukunft war nie?

Wenn es darum geht zu fragen, was das Künstlerhaus heute ist und sein soll, gilt es immer auch zu fragen, was es war. Und es war vieles. In erster Linie war das Künstlerhaus aber immer ein Ort der Kommunikation, des Austausches (auch künstlerischer) Ideen und des Aufeinandertreffens sehr verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Individuen. Seien es Künstlerverbände, die ein eigenes Haus wollten, Kulturbeamte die den Grundstein einer eigenen städtischen Kunstsammlung evozierten, Armeeoffiziere, die die Musik und Kultur ihrer amerikanischen Heimat in der Fremde hören wollten, Musiker:innen die nach dem Krieg die Freiheit des Jazz entdeckten. Obdachlose aus der Bahnhofsregion, die ein warmes Plätzchen suchten, Jugendliche, die sich mit ihren Freund:innen trafen und diskutierten oder Gruppen, die Events planten. Veranstalter:innen, die Konzerte planten, Künstler:innen die Ausstellungen realisierten, Journalist:innen, die Zeitungen, Radios, Filmproduktionsfirmen gründeten – jede*r wollte etwas, und das Künstlerhaus/ KOMM/K4  war der Ort an dem vieles erdacht und realisiert wurde. Der Wille von innen ist aber nicht der Wille von außen. Und obwohl das heutige, das neue, das andere Künstlerhaus zweifelsohne eine andere Bedeutung als das KOMM oder das K4 hat, ist dieser Wille nicht verschwunden. Lebens(t)räume verkörpert diesen Willen und macht eine Bestandsaufnahme, einerseits: Was war das KOMM/K4? Ein Ort zwischen Utopie und  dem, was jeweils aktuell möglich scheint oder realisierbar erscheint? Wieviel von beidem? Und andererseits: Was gilt und geht heute davon noch? In welcher Art und Weise sollte sich in Zukunft das Künstlerhaus an der Diskussion politischer Fragen in Nürnberg beteiligen? In welchem Umfang sollen die Besucher:innen über die Aktivitäten im Haus bestimmen? Wie lassen sich analoge und digitale Erfahrung der Generationen im Künstlerhaus miteinander verbinden? Wie kann ein kulturelles und soziales Angebot im Künstlerhaus ohne Konsumzwang aussehen? Wie lassen sich Menschen mit Migrationshintergrund und ihre Erfahrungen in die künftige Arbeit besser einbinden? Welche gemeinsam Ideen verbinden Besucher:innen und die Aktiven im neuen Künstlerhaus? Welche Impulse für eine soziale Stadt kann das Künstlerhaus geben? (Alle Fragen aus der Beamerinstallation in Raum 4).

Letztlich stellen sich all die Fragen an die Nutzer:innen im Künstlerhaus vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart, wie Klimakrise, Stadt- und Verkehrsplanung, Migrationsbewegungen, Ressourcenverbrauch, demografische Entwicklungen, Diversität, Inklusion, soziale Fragen der unterschiedlichen Gesellschaftsklassen u.v.m.

 


Letztlich fragt sich die Ausstellung, wie Lebens(t)räume reaktiviert und neugestaltet werden können, in einer Stadtgesellschaft, die sich immer mehr atomisiert. Der Wille der KOMMler:innen war letzten Endes nämlich immer ein sozialer. Wenn jeder an sich denkt, ist zwar an alle gedacht, dass man sich aber nicht ohne die anderen denken kann, sagt einem keiner. Vom Wert der Sozialität ausgehend, öffnen die Lebens(t)räume einen Diskussionsraum, der sich nicht damit beschäftigt, wie eine Kultureinrichtung, sondern konkret das Künstlerhaus Nürnberg diesem Wert gerecht werden kann. 

 

Autoren: Matthias Dachwald und Moriz Hertel

Gestaltung: Mareia Doll und Stephanie Braun