Die Ausstellung

Das Kunsthaus Nürnberg stellt mit Unterwegs 1956 - 2023 erstmals öffentlich das fotografische Schaffen von Michael Jostmeier in einer institutionellen Ausstellung vor.

Der Fotograf Michael Jostmeier, Vielen wohl vor allem als Professor für Computer Generated Imagery (CGI) an der Technischen Hochschule Georg-Simon-Ohm in Nürnberg bekannt, gehört zu den Pionieren der Verknüpfung von Computergrafik und Fotografie, mit der er sich bereits seit den frühen 1980er Jahren beschäftigt. Parallel zu einem Studium der visuellen Kommunikation mit dem Schwerpunkt Fotografie an der Folkwangschule in Essen, begann Jostmeier, bedingt durch einen Zufall, die Wahlkampfauftritte des späteren Ministerpräsidenten von NRW und Bundespräsidenten Johannes Rau zu fotografieren. Zunächst frei, dann als fester Bestandteil der Entourage für die fotografische Dokumentation. So kam er später mit zahlreichen Politikgrößen in Kontakt. Er gründete eine Designagentur und legte sich zum Ausgleich für das stressige Werbebusiness eine Lochkamera zu. Immer öfter ergründete er, neben seinen Aufgaben in der Agentur und später an der Hochschule, die faszinierenden Wege der Fotografie.

Michael Jostmeier: Unterwegs 1956 - 2023" ist eine Ausstellung, geprägt von der Neugierde des Fotografen, voller Überraschungen, die wortwörtlich eine Reise durch die Ausstellungsräume des Kunsthauses bietet.

Eine Entdeckung in der deutschen Fotografielandschaft!

Mit dieser ersten institutionellen Ausstellung stellt das Kunsthaus Nürnberg einen Fotografen vor, dessen Oeuvre bislang noch kaum bekannt ist. Egal ob in der Streetphotography, als Beobachter des politischen Alltags oder als Dokumentarist der menschengemachten Klimakrise, mit faszinierenden großformatigen Landschaftsaufnahmen, hat Michael Jostmeier je seinen eigenen fotografischen Stil entwickelt. Die Wurzeln einer solchen Vielfalt in der Fotografie liegen vor allem in seiner Assistenzzeit, welche er über fast 7 Jahre bei einflussreichen Fotoprofessor*innen bestreiten durfte. An dieser Stelle sind Inge Oswald, Erich vom Endt, Angela Neuke-Widmann oder beispielsweise auch Jürgen Klauke hervorzuheben– Sie alle waren, wie Jostmeier selbst sagt, ausschlaggebend für seinen doch sehr abwechslungsreichen fotografischen Weg.

Die Auswahl der Exponate erfolgte durch den Leiter des Kunsthauses Matthias Dachwald in Kooperation mit Prof. Dr. Christoph Schaden (TH Georg-Simon-Ohm Nürnberg) und dem Fotografen Michael Jostmeier selbst.

 

 

Die Ausstellungseröffnung

Mit zahlreichen, neugieren Besucher*innen und Reden von Prof. Dr. Julia Lehner, 2. Bürgermeisterin im Geschäftsbereich Kultur und dem Leiter des Kunsthauses, Matthias Dachwald wurde die Ausstellung feierlich eröffnet.

Der Musikverein rundete den Abend mit Drinks und DJ Sounds von Eve Massacre ab.

 

Landscapes

Europa

Weite Landschaften, klare Farbflächen, strukturgebende Linien, atmosphärische Dichte. Die Serie Landscapes entführt uns im nächsten Raum zu großformatigen Farbfotografien beeindruckender Landschaften. Europäische Gebirgslandschaften treffen auf australische Wüstenflächen, dunkle neblige Schluchten, tiefhängende Wolken stehen Gegenden gegenüber, die in gleisendes Sonnenlicht getaucht sind, wie es zum Beispiel bei der Momentaufnahme aus Foce del Piave zu erkennen ist. Der Horizont am Ende des unendlich wirkenden Sandstrands scheint hier förmlich mit dem Himmel zu verschmelzen, wodurch im Hintergrund nur noch eine leichte Silhouette der Baumformationen geblieben ist.

Australien, Neuseeland und USA

Bildausschnitte sachlicher Architektur und Hinterhöfe voller Graffiti erzeugen des Weiteren einen spannungsvollen, narrativen Bogen. Ein Hinterhof in Melbourne, transformiert und dekoriert durch etliche Zeichnungen und Tags, erlebt im Kontext Jostmeiers Fotografien einen ganz neuen Ausdruck. Die Arbeiten in dieser Serie sind durchaus auch eine Reminiszenz an die Farbfotografien der American New Color Photography, transportieren aber zudem in der Gegenüberstellung mit den europäischen Landschaften auch immer das gegenwärtige und omnipräsente Thema der aktuellen Klimakrise mit. Die fotografische Symphonie der Landschaft und die Folgen des Anthropozäns vereinen sich in den wirkmächtigen Bildern dieses Ausstellungskapitels.

Streetphotography

Die beeindruckend vielfältige Reisetätigkeit von Michael Jostmeier, gerade während seiner Agenturzeiten in den 1980/ 90er-Jahren, brachte es mit sich, dass er weltweit Alltagsszenen fotografisch einfing, die für das geübte Auge des Fotografen mehr waren, als nur beliebige Szenen auf der Straße. Egal ob in Rom oder in Tokio, den USA oder Deutschland, immer begleitete die Kamera Jostmeier und er fotografierte, was ihm an außergewöhnlichen Gewöhnlichkeiten in den Blick fiel. Es sind also oftmals bewusst gewählte, alltägliche Entdeckungen, die an die Erfahrungen der Betrachter und Betrachterinnen andocken. So schlüpft er bei einem Ausflug in Sydney in die Rolle des unbemerkten Beobachters und lässt uns folgend Teil an einem Dinner haben, über dessen Akteur*innen sich nur spekulieren lässt. Die Schwarzweiß-Aufnahmen ermöglichen einen vielfältigeren Interpretationsspielraum und schaffen Freiheit zur subjektiven Einordnung.

Im Kontext der Ausstellung, die mit dem Titel Unterwegs ihr eigenes Tempo aufnimmt, findet sich in diesem Kapitel der Streetphotography besonders häufig auch die konträre Seite des bewegten Unterwegsseins wieder, die des Wartens. Immer wieder Warten wir, auf einen Termin, auf den Anschlussflug oder auf andere Personen, wie verhalten wir uns dabei? Der Blick fällt bei dieser Überlegung auf die Aufnahme eines Helikopterlandeplatzes auf einem Dach in Tokyo, der Fokus liegt auf einem stehenden Mann links im Vordergrund. Sein Blick fällt in die Ferne, er scheint nach etwas Ausschau zu halten, die über dem Kopf zusammen geschlagenen Hände solllen die Suche erleichtern. Die Personen auf diesem Dach Erwarten folglich die Ankunft oder Abreise gewisser, für die Betrachter*innen unbestimmte, Personen.

Politik und das Erbe des Nationalsozialismus

Reichsparteitagsgelände, Dokumentation, 1998 - 2001

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (und der DDR) ist ohne den Nationalsozialismus nicht denkbar. Erst durch den totalen Zusammenbruch des menschenverachtenden, rassistischen und antisemitischen Regimes der Nationalsozialisten ließ sich unter dem Schutz der alliierten Streitkräfte die Bundesrepublik als demokratischer Staat aufbauen. Auch die deutsche Teilung in zwei Staaten ist allein dem nationalsozialistischen Verbrecherregime geschuldet. Bis heute zeugen einige Bauten in Nürnberg von diesen Geschehnissen. Dieser geschichtliche Hintergrund bietet auch den Grundstein bei der Konzeption des folgenden Raumes. Hier kommt es zu einer Gegenüberstellung dokumentarischer Fotografien des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes, welches Jostmeier über 2 Jahre mit seiner Großbildkamera erforschen durfte, mit den Poträts verschiedenster deutscher Politiker und Politikerinnen nach der NS-Zeit.

Politiker und Politikerinnen

Denn der Nationalsozialismus blieb und bleibt natürlich für alle politischen Akteur*innen, vor allem aber für deren Kanzler oder Kanzlerin, handlungsleitender Referenzpunkt. Willy Brandts (SPD) vorsichtige Öffnung zum Warschauer Pakt durch die Ostverträge, Helmut Schmidts (SPD) strikte Verankerung im Westbündnis, die zum Nato-Doppelbeschluss führte, der dann durch Helmut Kohls (CDU) Kabinett umgesetzt wurde und parallel dazu zu einer europäischen Vereinigung führen sollte. Gerade im öffentlichen Leben, wie auch in der Politik, holt dieVergangenheit die Gegenwart immer wieder ein. Jostmeier versucht mit seiner Fotografie die Zweifel, Sorgen, Emotionen und die Zerissenheit an Personen in solch hohen Positionen festzuhalten. In Folge seiner Arbeit lichtete er etliche Politiker*innen in den 1970er- und 80er-Jahren ab.

Jostmeier ist, in Folge der Aufarbeitung seines Bilderarchivs, gleichzeitig aber wieder in die politische Fotografie eingestiegen. Gerade in den heutigen Zeiten, geprägt durch etliche Krisen und politische Veränderungen, ist es wieder umso spannender für ihn geworden, in engem fotografischen Kontakt mit den Politiker*innen zu stehen.

Computer Generated Images (CGI)

CGI

Mit den CGI-Fotografien im Ausstellungsgang begegnen wir dem akademischen Fachgebiet von Michael Jostmeier. Keines der Bilder im Gang ist eine Fotografie im klassischen Sinne.

Einerseits erscheint ein Astronaut, der sich eingehüllt in seinen Raumanzug in der Mitte eines strahlendblauen Pools auf dem Rücken treiben lässt, andererseits erscheint die Büste von Michelangelos David tief versunken in den Weiten einer Wüstenlandschaft, der Boden um diese herum durch Abfälle verschmutzt. Eine Menschenseele ist weit und breit nicht zu erkennen. Postapokalyptische Landstriche treffen auf uns bekannte Zivilisationen – Kann man hier noch leben? Was ist passiert? Hat die Klimakrise vernichtend zugeschlagen, ist die Menschheit ausgerottet?

Diese vermeintlichen postapokalyptischen Bilder sind natürlich auch eine augenzwinkernde Infragestellung der Glaubhaftigkeit des fotografischen Bildes. Die CGI-Technik, vor allem für die Werbung in der Großindustrie in den letzten 20 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert, ist eine Technik der Perfektion, des Wunder(n)s aber auch des Scheins.

 

 

 

Das fotografische Bild als Abbild des Realen war historisch betrachtet lange ein Versprechen der Fotografie, dass dieses Abbild schon lange nicht mehr der Realität entsprechen muss, ist einigen bekannt. Seid vielen Jahren wird nicht mehr nur das abgebildet, was in der Realität zu einem bestimmten Moment mit dem bloßen Auge zu erkennen ist, es geht weit darüber hinaus. Die Auseinandersetzung mit CGI sieht Jostmeier als persönliche und technologische Weiterentwicklung, mit der er dem eigenen Drang folgt, über das reine Abbilden hinaus kreativ zu gestalten. Er spricht von einer Art des Modulierens bzw. des Hinzufügens wenn es um die Nutzung der Technik des CGI in der Fotografie geht, der Fotograf wird im übertragenen Sinne zu einem Bildhauer, der digital 3D-Skultpuren erschafft.

 

Camera Obscura

Private Momente auf Reisen

Mit der Lochkamera experimentierte Michael Jostmeier vor allem während seiner beruflichen Reisen, auch um zu entspannen, einen Gegenpol zum stressigen Leben in der Designagentur zu schaffen. Neben dem Eifelturm, fotografiert während des 100-jährigem Jubiläums, oder den alten chinesischen Klosteranlagen, liegt ein Schwerpunkt der Bilder auf New York City: die Brooklyn Bridge, das Empire State Building und das World Trade Center in der Skyline und von oben, von der ehemaligen Besucherplattform. Ansichten einer vergangenen Zeit mit dem Medium einer vergangenen Zeit und doch so ästhetisch kraftvoll, dass sie, ebenso wie das mittelalterliche San Gimignano in der Toskana, in den Abzügen der Lochkamera der Zeit enthoben wirken.

Heinrich Jostmeier (1956 - 1966)

In einem extra Ausstellungsraum zeigt das Kunsthaus die Fotografien von Heinrich Jostmeier, dem Vater des Fotografen.

Akribisch fotografierte Heinrich Jostmeier die bundesdeutsche Nachkriegsentwicklung in den 1950/60-er Jahre im Ruhrpott. Die Fotografien sind ein wertvolles zeithistorisches Dokument des subjektiven Einblicks in die bundesrepublikanische Welt dieser Jahre. Er lichtete den Alltag und den öffentlichen Raum jener Zeit mit einem sicheren Blick für Bildgestaltung, Raumaufteilung und Licht-Schatten-Kontrasten ab, den vielen Fotografie-Autodidakten aus jener Zeit teilen. Während Michael Jostmeiers Kindheit, erinnert er den Vater vielfach mit dem Fotoapparat in der Hand. Dass seine Bilder mehr waren als reine Schnappschüsse für das Familien Album, entdeckte der Sohn aber erst nach dem Tod Heinrichs. Ute Eskildsen, die langjährige Kuratorin im Folkwangmuseum Essen für Fotografie, würdigte diese subjektive Sicht auf die Nachkriegszeit in den 1990er-Jahren mit einer Ausstellung im Folkwang Museum Essen.

Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren können nun auch diese Fotografien innerhalb der Ausstellung, in einer Sonderausstellung im Kunsthaus wiederentdeckt werden.

Kindheitserinnerungen

In das Zentrum der Fotografie von Heinrich Jostmeier gerät neben der Familie in allen erdenklichen Lebenslagen, von der Freizeit im Garten bis zum Sonntagsspaziergang oder der Großmutter beim Bügeln am Küchentisch, vor allem auch die landschaftliche Umgebung im Ruhrgebiet. Festgehalten wurden unter anderem also auch gemeinsame Nachmittage mit Freunden und Familie, wie es auch ein Schnappschuss bei einem Gartenfest im Sommer zeigt. Kinder, die sich mit Eimern voller Wasser eine kleine Abkühlung verschaffen wollen, die gemeinsam die Sonne genießen. 

 

 

Aber auch Blicke ins Innere der Lebensräume öffnen sich; das Interieur jener Zeit. Wie beispielsweise die eigene Kristallsammlung, die vielleicht nur für besondere Feierlichkeiten hervorgeholt wird. Und immer wieder wechselt der ältere Jostmeier auch vom klassischen Aufnahmesujet und überrascht mit experimentellen Bildausschnitten! So in etwa auch bei dem „Porträt“ eines jungen Mädchens, dessen knöchellanges Kleid im Fokus liegt, da der Kopf beim Fotografieren abgeschnitten wurde, wodurch Sie nicht mehr zu identifizieren ist. Das Foto ist im Vergleich zu anderen Kinderbildern also nicht nur eine Erinnerung an die Person und eine vergangene Kindheit.