Im September 2019 widmete das Filmhaus einem der wichtigsten New-Hollywood-Regisseure eine Retrospektive und präsentierte 14 Filme aus den Jahren 1969 bis 2006. Robert Altman realisierte sein vielgestaltiges Œuvre innerhalb und außerhalb Hollywoods, dem geographischen und metaphorischen Zentrum der amerikanischen Filmproduktion, zu dem er zeitlebens ein zwiespältiges Verhältnis besaß. In seiner über 60-jährigen Karriere erarbeitete er sich einen Ruf als einer der wenigen Autorenfilmer in Hollywood – und lernte alle Höhen und Tiefen im Filmgeschäft kennen.

Vermutlich hat nur noch John Huston in der Geschichte des Tonfilms so viele Konkurse und Comebacks erlebt wie Robert Altman. Was Huston in der klassischen Hollywood-Epoche gelang, ist Altman zu Zeiten von New Hollywood, das er mitprägte, und danach geglückt: eine Folge von bleibenden Meisterwerken. Auch Robert Altman, der Hollywood-Maverick, zeichnete sich aus durch eine Weite des epischen Blicks, eine Freiheit in der Wahl der Stoffe, eine Ironie im Spiel mit den Genres, Unberechenbarkeit und Routine sowie nicht zuletzt: Virtuosität.

Robert Altman wurde 1925 in Kansas City geboren. Der Autor, Produzent, Theater-, TV- und Filmregisseur besuchte die University of Missouri, Columbia, flog im Zweiten Weltkrieg Einsätze im Pazifik, schrieb danach Stories, Stücke und Drehbuchvorlagen. Ab 1949 realisierte er Industriefilme, ab 1953 produzierte und inszenierte er an die 100 Episoden für populäre TV-Serien. 1957 debütierte er als Filmregisseur. 1970 gelang ihm sein Durchbruch mit M*A*S*H, einer überaus erfolgreichen Farce um den Krieg in Korea (Vietnam meinend). Wie viele seiner späteren Arbeiten gewinnt die überdrehte Kriegsfilm-Satire, für die er seine erste Oscar-Nominierung und die Goldene Palme in Cannes erhielt, ihren Reiz durch die ironische Dekonstruktion traditioneller Genremuster. Robert Altman reüssierte damit in einer einzigartigen Periode künstlerischer Energie und Freiheit: New Hollywood (1967–1976) schuf einen kreativen Raum für neue Talente, Themenstellungen und Erzählformen. Parallel stattfindende gesellschaftspolitische Umbrüche in den USA brachten den Boden nationaler Übereinkünfte und Glaubensgewissheiten ins Wanken. Der Krieg in Vietnam spaltete, Watergate erschütterte das Land. Neben Martin Scorsese wurde Robert Altman zum großen Realisten und Formenwandler des Kinos dieser Ära und zum Seismographen der amerikanischen Verunsicherung.

Wesenhaft an seinen Filmen, die an den mythischen Schauplätzen der amerikanischen Träume spielen, ist die Desillusionierung. Robert Altman stellt sich gegen die Normierung von Ansichten und Gefühlen, macht sichtbar, wie Menschen und Gemeinschaften von materialistischen Zeitläuften beeinflusst oder verschluckt werden; Themen sind das gegenseitige Durchdringen von Leben und Spiel (Show), die heitere Leere des US-amerikanischen Lebens, die Beziehung von Macht und Liebe sowie die Einsamkeit. „Seine Heldinnen in DREI FRAUEN etwa sind so radikal einsam wie seine anderen Figuren betriebsam, und wie diese sich in der endlosen Konventionalität der Umgangsformen des American Way of Life verlieren, so verwischen sich diesen Einsamen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum. An den Menschen, die sich ganz den äußeren Formen anpassen, zeigt Altman die gesellschaftlichen Räume, an seinen Einsamen tut er innere Räume auf. Er erklärt sie nicht, er öffnet Blicke.“ (Georg Seeßlen). Altman ist einer der beobachtet, der sieht: „I’m not telling a story, I’m showing.“ Das gibt auch dem Zuschauer neue Möglichkeiten, etwas zu entdecken, zu sehen und zu hören.

Seine Filme sind Panoramen, die dem Western (MCCABE & MRS. MILLER, 1971), Detektivfilm (DER TOD KENNT KEINE WIEDERKEHR, 1973), Gangsterfilm (DIEBE WIE WIR, 1974), Melodram (DREI FRAUEN, 1977), Phantastischen Film (BREWSTER MCCLOUD, 1970) und anderen Genres neue Impulse verliehen und gleichzeitig über sie hinauswiesen, innere Welten abbildend. Einen ersten Höhepunkt seines Schaffens erreichte Robert Altman 1975 mit NASHVILLE, einer semi-dokumentarischen Satire über das Musikgeschäft, die ihren vielschichtigen Plot auf 24 Protagonisten ausdehnt und seinen bald zum Markenzeichen gewordenen Ensemble-Stil begründete, bei dem er eine Vielzahl von Personen und Schicksale „altmanesk“ miteinander verknüpfte. Ähnlich wie John Ford arbeitete er mit vielen Schauspieler*innen über Jahre hinweg. Seit Ende der 1970er Jahre realisierte er mit wechselnder Fortüne Theateradaptionen, Komödien, Satiren und Liebesdramen. Nach dem großen Misserfolg einer Comic-Verfilmung zog er vorübergehend nach Europa, wo seine Künstlerbiographie VINCENT & THEO (1990) entstand. 1992 konnte er mit THE PLAYER, seiner Abrechnung mit der Gier Hollywoods, und dem meisterhaften SHORT CUTS (1993) an frühere Erfolge anknüpfen.

Im Jahr 2006, in dem er den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk erhielt, hat sich Robert Altman mit der musikalischen Elegie ROBERT ALTMAN’S LAST RADIO SHOW, dem vielleicht schönsten Abgesang der Kinogeschichte, für immer verabschiedet. Dazwischen ist er sich treu geblieben, hat schöne, eher weniger als mehr erfolgreiche Filme gedreht, wie die schwüle Südstaatenluft atmende Komödie COOKIE’S FORTUNE (1999); ein Comeback hat Robert Altman uneitel oder kokettierend allerdings immer geleugnet. Er sei nie Teil von Hollywood gewesen – also könne er weder weg gewesen noch zurückgekommen sein: „Ich habe einfach immer an der Straßenecke musiziert, wo man mir Münzen in den Hut geworfen hat.“