Eberhard Fechners Erzählfilme
31.10. bis 20.11.2024
Eberhard Fechner (1926–1992) gilt, neben Klaus Wildenhahn, als bedeutendster Regisseur des deutschen Fernsehens. Seine Arbeiten werden von einer Kontinuität und stilistischen Geschlossenheit bestimmt, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wohl einzigartig ist. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet und fanden auch im Ausland Beachtung, liefen in New York im Kino und wurden in der New York Times besprochen. Aus seinem Werk, das Kriminalfilme, Komödien, Literaturverfilmungen (u. a. die preisgekrönte Kempowski-Adaption „Tadellöser & Wolff“) und dokumentarische Arbeiten umfasst, ragen die neun sogenannten Erzählfilme heraus: auf Interviews basierende Arbeiten, mit denen Fechner in kunstvoller Montage ein Panorama der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts entworfen hat. Das Filmhaus präsentiert acht dieser Filme aus den Jahren 1969 bis 1991, zum Teil im 16-mm-Originalformat.
Eberhard Fechner wurde 1926 in Liegnitz, Schlesien, geboren, die alleinerziehende Mutter zog Ende der 1920er-Jahre mit ihm nach Berlin, wo Fechner im proletarisch geprägten Scheunenviertel aufwuchs, das bis zur Vertreibung und Deportation durch die Nationalsozialisten von vielen jüdischen Migranten aus Osteuropa bewohnt wurde. Fechners leiblicher jüdischer Vater, von dem er erst lange Zeit später erfuhr, wurde im Konzentrationslager ermordet. Eberhard Fechner selbst entging der Verfolgung nur, weil seine Mutter ihn umsichtig schützte. In den letzten Kriegsmonaten wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet verletzt in Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Krieg absolvierte Eberhard Fechner von 1946 bis 1948 an der Max-Reinhardt-Schule in Ost-Berlin eine Schauspielausbildung. Bis Anfang der 1960er-Jahre trat er in mehr als 200 Bühnenrollen auf, von 1961 bis 1963 assistierte er Giorgio Strehler am Piccolo Teatro in Mailand. Mitte des Jahrzehnts wandte sich Fechner dem Fernsehen zu, wo ihm Egon Monk beim NDR die ersten Möglichkeiten als TV-Schauspieler und Regisseur eröffnete. Seinen ersten Film, den Krimi SELBSTBEDIENUNG (1967), drehte Fechner im Alter von 40 Jahren. Mit seiner fünften Regiearbeit NACHREDE AUF KLARA HEYDEBRECK (1969) hatte Fechner seinen Stil gefunden. Er wurde schlagartig bekannt, mit Preisen und Anerkennung überhäuft. Der Film begründete eine Ästhetik des Dokumentarfilms, bei der die Montage eine neue unerwartete Bedeutung erhielt. „Man hört mich nicht, man sieht mich nicht, ich bin der Schnitt“, sagte Fechner über seine Rolle als Regisseur, der als Interviewpartner unsichtbar und unhörbar bleibt. Fechner versammelt die Interviewten durch die Montage wie um einen „imaginären runden Tisch“ und lässt sie so quasi in einen Dialog treten. Die Personen antworten einander, widersprechen einander, es entstehen vielstimmige Zwiegespräche. Durch die Montage, bekommen die Äußerungen, die Fechner nicht bewertete, gemäß Tschechows Maxime, er wolle nicht Richter sondern unparteiischer Zeuge sein, eine Dimension, die den Interviewpartnern nicht bewusst war. „Dialogfilme“ oder „Erzählfilme“ nannte Fechner diese Form des dokumentarischen Interviewfilms: „Da es nicht um Sachverhalte geht, sondern Erinnerungen an Sachverhalte, können es keine Dokumentationen sein“, befand er.
Bis 1991 drehte Fechner als Chronist gegen das Vergessen neun dieser Interviewfilme: „Lebensberichte deutscher Bürger im 20. Jahrhundert“. Es ist eine Geschichte von unten, erzählt aus der Perspektive der Menschen, die sie erfahren haben: Arbeiter, Kleinbürger, Großbürger, Adlige, Künstler, gefilmt in ihrem eigenen Umfeld, mit kleinem Team und wenig Technik. Das große Thema, das Zentrum von Fechners Arbeit – wie auch das Zentrum der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts – ist dabei die Zeit des Nationalsozialismus: die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, der alltägliche Opportunismus, die Verdrängungen nach dem Krieg, exemplarisch dargestellt in den Hauptwerken DIE COMEDIAN HARMONISTS und DER PROZESS, eine Darstellung des Majdanek-Verfahrens, den Fechner als Quintessenz seiner Arbeit betrachtete.