Seine Musik berührt, nur wenige Noten von Michel Legrand genügen, um bewegende Kinoerlebnisse vor dem inneren Auge heraufzubeschwören: Die ergreifende Abschiedsszene in DIE REGENSCHIRME VON CHERBOURG, das gesungene Rezept für den Liebeskuchen in ESELSHAUT, die Aura des zur Ikone gewordenen Gesichts von Anna Karina in DIE GESCHICHTE DER NANA S., die sanfte Liebesszene in SOMMER '42

Das Filmhaus ehrte den französischen Komponisten mit einer 16 Filme umfassenden Hommage. In seiner langen Karriere als Komponist, Arrangeur, Pianist, Sänger und Dirigent errang der große Melodiker Weltruhm. Er hat die Musik für zahllose Filme komponiert, die ihn von der Nouvelle Vague bis nach Hollywood führten. Michel Legrand war fünffacher Grammy-Preisträger, zwölfmal wurde er für seine Filmmusik für den Golden Globe und ebenso oft für den Oscar nominiert. Dreimal erhielt er den begehrten Academy Award.

1932 in Paris in eine musikalische Familie geboren, begann Michel Legrand als Sechsjähriger Musik zu schreiben, als Zehnjähriger studierte er am Conservatoire de Paris. Die große Lehrerin Nadia Boulanger prägte ihn ebenso, wie ein Konzert mit Dizzy Gillespie 1947. „Ekstatisch“ erlebte er einen neuen Stil, und seither war der Jazz sein ständiger Begleiter. Mit 20 absolvierte er das Konservatorium und fühlte, dass er alles machen könnte, Symphonien schreiben, ein virtuoser klassischer Pianist oder Jazz-Pianist werden, Sänger oder Dirigent. Es war sein Lebenstraum, das in vollem Umfang zu tun. Der Film half ihm, diesen Traum zu verwirklichen, in dessen Mittelpunkt der Glaube an die alles übertreffende Melodie stand.

Mit dem Kino hatte Michel Legrand eine Möglichkeit gefunden, seine verschiedenen Leidenschaften zusammenzuführen. Filme haben ihn immer beflügelt. Und Anfang der 60er Jahre kamen die aufregendsten Filme der Welt aus Frankreich. Seine Gabe für das Melodische und die Fähigkeit, kontrastreiche Welten aus satten Klangfarben, Jazz und leidenschaftlichen Balladen zu verbinden, entsprach den jungen Autorenfilmer*innen mit ihrer Vorliebe für einen bildhaften Ausdruck. Die Leichtigkeit und Anmut dieser Klangbilder bestimmt noch heute die Vorstellung vom Kino der 60er Jahre. Diese Jahre des Aufbruchs teilte Michel Legrand als ein Architekt der Erneuerung des französischen Kinos mit Jean-Luc Godard, Chris Marker, Agnès Varda und insbesondere Jacques Demy. Mit ihm schuf er eine einzigartige Form des Filmmusicals.

DIE REGENSCHIRME VON CHERBOURG, ihr Experiment, in dem alle Dialoge gesungen werden, triumphierte international, legte den Grundstein für weitere gemeinsame Filme und etablierte Legrand weltweit. Das große musikalische Abschiedsthema des Films, arrangiert mit Jazz-orientierten Wendungen, die den Melodien eine besondere Ausstrahlung verleihen, charakterisiert in besonderem Maße seinen sinnlichen und elegischen Stil und prägte sein Image als lyrischer und romantischer Magier. Ein schmeichelhaftes, aber reduziertes Bild. Das Etikett „Romantik“ ist der Baum, der einen Wald aus über 200 Filmen verbirgt.

1966 wagte Michel Legrand den Sprung nach Hollywood und zog nach Los Angeles. Der Erfolg sollte ihm Recht geben: 1968 erhielt er einen Oscar für seinen Song des Films THOMAS CROWN IST NICHT ZU FASSEN. „The Windmills of your Mind“ wuchs über das Filmgenre hinaus, wurde in einem Vorgang, der sich wiederholen sollte, zum Welthit und gecoverten Klassiker von Dusty Springfield, Barbara Lewis, Sting und vielen anderen. Die Liste der Musiker ist ebenso beeindruckend wie die der Regisseure, mit denen Legrand international zusammenarbeitete. Wir zeigen neben wichtigen in Frankreich entstandenen Werken Joseph Loseys DER MITTLER, Clint Eastwoods BEGEGNUNG AM VORMITTAG, Robert Mulligans SOMMER '42 (Oscar für die „Beste Originalmusik“ 1972) und Robert Altmans PRÊT-À-PORTER.

Einmalig bleibt die schöpferische Zusammenarbeit von Michel Legrand und Jacques Demy, die sich brüderlich verbunden fühlten. Der Regisseur brachte über den Musiker zum Ausdruck: „Michel ist im Grunde kein Komponist, sondern ein Musikbrunnen.“ Über sechs Jahrzehnte hinweg sprudelte er unermüdlich für Kino, Konzert und Bühne – bis zu seinem Tod im Januar 2019 im Alter von 86 Jahren.

"I've been an adventurer" - eines der letzten Interviews mit Michel Legrand (September 2018) mit einigen Filmausschnitten (in englischer Sprache)

"How Michel Legrand Gave the French New Wave a sound" - Nachruf mit Filmausschnitten (in englischer Sprache)