Monster im Film
„Sehen Sie die erstaunlichsten Ungeheuer aller Zeiten“ versprachen Schausteller im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihrem Publikum, „staunen Sie, treten Sie näher“ – und stellten missgebildete Menschen aus wie exotische Tiere: den Mann mit dem Vogelkopf, die Dame ohne Unterleib, Siamesische Zwillinge, Löwen- und Elefantenmenschen, Affen- und Bartfrauen. Sogenannte Abnormitäten-Schauen wurden zum Massenvergnügen und befriedigten eine (Sensations-)Lust am Exotischen.
Das vom Jahrmarkt kommende Kino ist von Beginn an auch ein Kino der Attraktionen und im Genrekino ein nicht wegzudenkender Teil der populären Kultur. Das lustvolle Schauen, die Überwindung der Angst, der „Thrill“ werden vom psychologischen Thriller, vor allem vom Horrorfilm und später vom Science-Fiction-Film bedient. Bereits der Stummfilm visualisierte fantastische Geschöpfe, stellte Drachen, Zwerge, Riesen dar, Geister und Vampire: DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920), Paul Wegeners Verfilmung der alten Legende um den aus Lehm geschaffenen Hünen, F.W. Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1921), die Grundlage für alle nachfolgenden Filme zum Mythos des Grafen Dracula, DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME (1923) mit Lon Chaney in der Titelrolle des berühmten Buckligen oder das frühe Meisterwerk der Stop-Motion-Animation DIE VERLORENE WELT (1925), das erstmals prähistorische Riesenechsen in moderne Städte transferierte. Seine erste Blütezeit erlebte das Horrorgenre in den 30er Jahren, in denen Klassiker wie DR. JEKYLL UND MR. HYDE (1931), DIE MUMIE (1932), KING KONG UND DIE WEISSE FRAU (1933) und FRANKENSTEINS BRAUT (1935) entstanden.
Neben der Darstellung mythischer Fabel- und Halbwesen entwickelte der Genrefilm zunächst als genuin filmisches Monster den Riesenaffen King Kong. Nachfahren des Gorillas aus KING KONG UND DIE WEISSE FRAU (1933) in der mehr als graduellen Abweichung von der Größennorm sind auch Tiermonster wie Riesenameisen und -spinnen, die vor allem in den 50er Jahren mit modernster Waffentechnik erlegt werden mussten, sowie der gewaltige Hai in Steven Spielbergs DER WEISSE HAI (1975), der neben offiziellen Fortsetzungen zahlreiche weitere Haifilmproduktionen und Nachahmer zur Folge hatte, in denen wildgewordene Schlangen, Piranhas oder Spinnen über arglose Menschen herfallen.
Vorlagen der fantastischen Literatur und des Schauerromans, wie Stevensons Novelle Dr. Jekyll und Mr. Hyde, bereicherten den Film um vielerlei Doppelgänger, um monströse Wesen mit mindestens einem Doppel-Ich. Das publikumswirksame Thema wurde in mannigfachen Variationen ausgebreitet. Das andere Ich manifestiert sich als das unbewusste, verdrängte Böse und erscheint als Vampir (DRACULA, 1958 – Christopher Lee in seiner ersten Rolle als titelgebender Blutsauger), maskiert, in Tiergestalt als Werwolf (DAS TIER, 1980) oder als Wolfs- oder Katzenmensch etwa in Jacques Tourneurs KATZENMENSCHEN (1942). Doppelgänger figurieren als Menschenwerk in Form von Robotern und Androiden wie in Ridley Scotts BLADE RUNNER (1982) oder als von Außerirdischen erzeugte Replikanten. In Ridley Scotts Science-Fiction-Film ALIEN (1979) findet das Grauen in dem von HR Giger geschaffenen Monster eine schockierend-bildhafte Entsprechung. Der Mensch, auf der Suche nach immer perfekteren Kampfmaschinen, dient dem außerirdischen Monster dabei selbst sowohl als Zwischenwirt als auch als Nahrungsquelle.
Im Psycho-Thriller oder dem mit disparatem Genremuster spielenden postmodernen Film trieben und treiben Psychopathen ihr Unwesen, menschliche Monster, die Entsetzen hervorrufen, weil ihnen jede Menschlichkeit verlorengegangen zu sein scheint. Sichtbar ist die Monstrosität nicht mehr am Körper, sondern vielmehr an den Handlungen oder Taten des Einzelnen, wie etwa dem ebenso hochgradig intelligenten wie asozialen „Hannibal the Cannibal“ Lecter in Jonathan Demmes DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER (1991).
Das Filmhaus präsentierte ab dem 4. Juni 2015 „Monster im Film“ und ließ aus Filmgeschichte und -gegenwart in brillanten restaurierten Kopien exemplarische und bedeutsame Fabelwesen, Monstren, Dämonen, Tierungeheuer, groteske Halbwesen, Doppelgänger, Vampire und Androiden lebendig werden und auf der Leinwand fantastische Zauberwelten, apokalyptische Visionen und düstere Fantasmorgien entstehen. Faszinierend und furchterregend. Bizarr und poetisch. Kurios und komisch.
In Kooperation mit dem Germanischen Nationalmuseum begleitend zur Ausstellung „Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik (7.5. bis 6.9.2015).“ Die Ausstellung war Dienstag und Donnerstag bis Sonntag von 10–18 Uhr geöffnet sowie Mittwoch von 10–21 Uhr. Weitere Informationen unter: gnm.de/monster.