Der italienische Autor und Filmemacher Antonio Pietrangeli war einer der bedeutenden Erneuerer des italienischen Kinos. Als er 1968 im Alter von 49 Jahren bei Dreharbeiten tödlich verunglückte, hatte sein Werk mit dem zuletzt fertiggestellten ICH HABE SIE GUT GEKANNT (1965) gerade einen Höhepunkt erreicht. Der Film wird heute international als Meisterwerk gefeiert. In Deutschland ist Antonio Pietrangelis Werk bisher weitgehend unbekannt geblieben und wartet noch auf seine Entdeckung. Das Filmhaus zeigte im November 2017 zehn seiner Filme als 35-mm-Kopien, neun davon in der untertitelten Originalfassung. Einige waren zum ersten Mal in Nürnberg zu sehen.

Antonio Pietrangeli, geboren 1919 in Rom, absolvierte ein Medizinstudium und arbeitete zunächst als Übersetzer sowie Literatur- und Filmkritiker. In seinen Texten engagierte er sich für eine Neubelebung des italienischen Films und wurde zum Fürsprecher des Neorealismus, eines Begriffs, dessen Prägung durch die erstmalige Verwendung in einem Artikel aus dem Jahr 1942 Pietrangeli zugeschrieben wird. Im gleichen Jahr begann er als Regieassistent und Ko-Autor an Filmen mitzuwirken. Er war an zwei Filmen Luchino Viscontis beteiligt (BESESSENHEIT, 1942 und DIE ERDE BEBT, 1948) und als Drehbuchautor u.a. für Roberto Rossellini (EUROPA'51, in dem Pietrangeli auch als Schauspieler mitwirkte, REISE IN ITALIEN, 1953), Alberto Lattuada, Pietro Germi, Alessando Blasetti und Luigi Comencini tätig. 1953 realisierte Antonio Pietrangeli mit SONNE IN DEN AUGEN seine erste eigene Regiearbeit.

Bis zu seinem frühen Tod folgten zehn Spielfilme und zwei Beiträge zu Episodenfilmen. Das Debüt gibt bereits vor, was in Tonlage und Thematik exemplarisch für Pietrangelis Werk werden sollte. Zentrales Thema seiner Filme ist das unbalancierte Verhältnis der Geschlechter in der modernen Industriegesellschaft. Dabei verband Pietrangeli den Gestus der moralischen Dringlichkeit und der sozialen Anklage des Neorealismus mit satirischen Elementen der Commedia all’italiana. In einem eigenständigen modernen Stil kombinierte er Gesellschaftskritik und Drama mit Unterhaltung; seine Filme sind Komödien mit einem skeptischen melancholischen Grundton. Pietrangelis besonderes Interesse galt weiblichen Protagonisten und ihren Lebensrealitäten vor dem Hintergrund der Transformation der italienischen Gesellschaft vom Agrar- zum Industriestaat. Die mit dem Wirtschaftswunder einhergehenden Veränderungen – Landflucht und Verstädterung, Bedeutungsverlust von Kirche, Familie und Tradition – zeigt Pietrangeli in ihrer Ambivalenz. Die neuen (sexuellen) Freiheiten gehen mit zunehmender Oberflächlichkeit und Konsumdenken einher. In den zumeist aus weiblicher Perspektive erzählten Filmen sind die Männer oft nicht bereit oder fähig, Verantwortung zu übernehmen. Obwohl Pietrangeli keinen Zweifel daran lässt, dass seine Sympathien den Frauen gelten, fällt er kein Urteil über seine männlichen Protagonisten, sondern blickt auf alle seine Figuren mit Nachsicht, Verständnis und Mitgefühl.