Ula Stöckl ist eine Pionierin im deutschen Nachkriegsfilm und dennoch wirken ihre Filme so modern und manchmal auch mutiger als aktuelle Filme. Sie war die allererste Filmstudentin in Deutschland. In einer Zeit, in der auf der einen Seite für kreative junge Geister alle Möglichkeiten offenzustehen schienen, aber auf der anderen Seiten gerade Frauen sich ihre Rechte erst einmal erkämpfen mussten. Zuerst geht Ula Stöckl als Au-pair nach Paris, um währenddessen zu studieren. Dabei entdeckt sie neben ihrer Liebe zum Theater auch die Liebe zum Kino. Zum filmischen Erzählen überhaupt.

Anfang der 60er Jahre geht sie in die, gerade von Edgar Reitz und Alexander Kluge mitbegründete, Filmklasse der Ulmer Hochschule für Gestaltung, ursprünglich mit der Absicht, Drehbuch zu studieren. Doch diese Schule war anders. Sie war die erste Filmhochschule in Deutschland und es ging hier ums Experimentieren, um die eigene Entwicklung der filmischen Erzählung und des eigenen Ausdrucks. Jeder musste einmal Kamera machen, Ton, Licht oder Produktion: „Für mich war es eine so unglaublich produktive Zeit, weil ich alles selber machen konnte.“ Ula Stöckl stellt die überholten, aber immer noch dominanten Frauenrollen schon in ihren ersten Dokumentarfilmen in Frage, deren Titel dies schon erahnen lassen: HABEN SIE ABITUR? (1965) Sie zeigt die Frauen allerdings nicht als Opfer, sondern voller Respekt. Im Spielfilm bedient sie sich zunächst der griechischen Mythologie und wird dies in veränderter Form immer wieder tun, denn durch die Transzendenz der Figuren lassen sich Analogien zur Vergangenheit der Unterdrückung in Nazideutschland herstellen und auch die Absurditäten der tradierten Rollenverständnisse offenlegen. So auch in ANTIGONE (1964), der ihr erster Spielfilm wird.

Bald beginnt Ula Stöckl, so über Frauen zu erzählen, wie es noch keine vorher im deutschen Film gewagt hatte, mit lustvollen Grenzüberschreitungen auf allen Gebieten. Von Ula Stöckls Abschlussfilm NEUN LEBEN HAT DIE KATZE (1968) wird oft erzählt, es sei der erste feministische Film und doch ist er vieles mehr. Wie befreit sind ihre Frauen, nicht nur tragisch sondern auch lustvoll, anarchistisch, manchmal urkomisch und dadurch so entlarvend. Dann kommt es zu einer ganz seltenen Form von Zusammenarbeit auf Augenhöhe, den GESCHICHTEN VOM KÜBELKIND (1971), die sie zusammen mit Edgar Reitz entwickelte. Die 70er Jahre waren für unabhängige Geister im Filmgewerbe schwer, zumal wenn sie Frauen waren. Aber wenigstens bietet ihr das damals sehr aufgeschlossene Fernsehen Möglichkeiten, weiter Kinofilme zu produzieren, wie die gerade widerentdeckten Filme ERIKAS LEIDENSCHAFTEN (1976) oder EIN GANZ PERFEKTES EHEPAAR (1974). Mitte der 90er Jahre wurden selbst diese Möglichkeiten immer dürftiger.

Ula Stöckl arbeitete schon immer parallel als Darstellerin, Jurorin, Dozentin, Festivalmacherin und Kuratorin. Schließlich wurde sie für Lebenszeit an eine Universität in Florida berufen und nahm an. Nur ein einziges Mal kam sie zurück, um einen Film zu produzieren, da ihn ihre Freundin Katrin Seybold nicht mehr fertigstellen konnte: DIE WIDERSTÄNDIGEN (2014). Insgesamt produzierte Ula Stöckl 26 Filme. Einige davon können derzeit nicht gezeigt werden, da sie erst restauriert werden müssen. Das Filmhaus zeigte 14 Filme in neun Programmen von Ula Stöckl und freute sich, dem Publikum die Gelegenheit geben zu können, nicht nur ihre Filme, sondern auch diese ungewöhnliche Regisseurin persönlich bei Filmgesprächen vom 27.6. bis zum 30.6.2019 kennenzulernen.

Wir danken Bärbel Freund für ihre umfassende Beratung und Hilfe, ohne die die Werkschau nicht zustande gekommen wäre.