Kulturelle Schatzsuche in Archiven

von Simone Schimpf - 7.6.2024

Nürnberg - Wozu sammeln wir eigentlich all die Sachen, die sich in Archiven befinden? All die Bilder und Objekte, Handschriften und Dokumente, Geschichten und Gedichte? Bis zum 6. Oktober 2024 bietet die Ausstellung Memory Movers im Neuen Museum Gelegenheit, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.

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Das Neue Museum Nürnberg zeigt in der Ausstellung Memory Movers. Böhler & Orendt eine raumgreifende Installation mit rund 200 Objekten aus 51 Archiven mit einem spannenden Vermittlungskonzept: Sprechende Hüte erzählen den Besuchenden Geschichten zu den au

Das Berliner Künstlerduo Böhler & Orendt zeigt in Memory Movers eine Installation mit rund 200 Objekten aus 51 Archiven. Sie funktioniert wie eine interaktive räumliche Erzählung, die von der gegenwärtigen Bedeutung von Kulturarchiven handelt. Vor drei dunklen Tunneleinfahrten schlängeln und stauen sich neue und historische Autos, Fahrräder, Handkarren, Mopeds, Eiswagen und andere Vehikel quer durch den Ausstellungssaal. Sie sind schwer beladen mit Kisten, befüllt mit Archivobjekten aus unterschiedlichsten Zeiten und Kontexten, die das Künstlerduo für die Ausstellung ausgewählt hat. So finden sich etwa fotografische Zeugnisse der Anti-Atommüll-Proteste in Gorleben neben Werken von Hannah Höch, Kurt Schwitters und Marcel Duchamp neben einer historischen Aufnahme eines Tanzstücks von Sigurd Leeder oder einem Circus Roncalli-Playmobil-Set wieder.

Besuchende können sich, während sie sich in diese Erzählung hinein begeben, von digitalen Leit-Geistern führen lassen, die in großen Hüten wohnen. Diese sogenannten Daimons flüstern ihnen – ähnlich ihren gleichnamigen mythologischen Vorfahren – beim Tragen eines solchen Huts komische, rührende, poetische und philosophische Gedanken zu den Dingen ein, die hier zu sehen sind. Die Installation veranschaulicht die Vielfalt archivarischer Zugänge und Arbeitsweisen. Zugleich wird hier die politische Seite des Archivierens von Kulturobjekten sichtbar: Es wird klar, dass bereits jede Entscheidung, Dinge in einem Archiv zu bewahren, selbst schon ein politischer Akt ist, weil ihnen damit ein besonderer kultureller Wert beigemessen wird.

Viele der Archiv-Objekte in Memory Movers haben selbst eine offenkundige politische Dimension und zeigen Auswirkungen und Kontinuitäten – etwa von staatlicher Repression, Rassismus, patriarchaler Unterdrückung und Umweltzerstörung. Alles in einer Zeitspanne, die vom Dreißigjährigen Krieg über den Kolonialismus, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und den Kalten Krieg bis in die heutige Zeit reicht.

Gleichzeitig wird in der Ausstellung deutlich, wie in all diesen Zeiten ganz unterschiedliche Menschen – unter anderem Aktivisten und Aktivistinnen, Autoren und Autorinnen und Künstler und Künstlerinnen – verschiedene Formen von Unterdrückung durchbrochen haben, um ein solidarisches und gleichberechtigtes Zusammenleben zu ermöglichen.

Die Besuchenden nehmen auf diese Weise letztendlich auch selbst Teil an diesem politischen Spiel um Sinn, Wert und Bedeutung von Dingen und Erinnerungen: Indem sie für sich entscheiden, welche davon ihnen nahe sind und welche nicht, wie sie sie lesen und bewerten möchten und welche sie selbst besonders bewahrenswert finden – im Neuen Museum oder da draußen in der „echten Welt“, alleine oder mit Hilfe ihres Daimons.

Autos, Fahrräder, Handkarren, Mopeds, Eiswagen und andere Vehikel stehen im Ausstellungssaal, schwer beladen mit Kisten, befüllt mit Archivobjekten. © Böhler & Orendt / StudioNearMe, 2024

Neues Museum Nürnberg
Klarissenplatz
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Telefon: 0911 2 40 20 69
nmn.de

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