Liebe und Anarchie – Lina Wertmüller

2.11. bis 19.11.2023

 

Die italienische Filmemacherin Lina Wertmüller (1928–2021) war eine der bedeutenden Regisseurinnen des europäischen Autor:innenkinos. Von der Presse wegen ihres opulenten, vitalen Erzählkinos als "weiblicher Fellini“ beschrieben, feierte sie ihre größten Erfolge in den 1970er Jahren mit schrillen melodramatischen Tragikomödien, die um Sexualität, Politik, Gewalt, Macht, Patriarchat, Ausbeutung und Faschismus kreisten. Sie war die erste Frau, die 1977 für den Oscar für die beste Regie nominiert wurde. 2019 wurde sie mit dem Ehrenoscar für ihr Lebenswerk geehrt.

 

Lina Wertmüller, deren eigentlicher Name Arcangela Felice Assunta Wertmüller von Elgg Spanol von Braueich in seiner Länge eine Parallele zu ihren nicht selten zweizeiligen Filmtiteln hat, wurde 1928 in Rom geboren. Gegen den Willen ihres Vaters, einem Rechtsanwalt, der einer Schweizer Adelsfamilie entstammte, nahm sie 1945 ein Studium an der Accademia d’arte drammatica in Rom auf. Nach ihrem Abschluss gründete sie 1951 eine Theatergruppe und schrieb selbst erste Stücke. In den 1950er Jahren arbeitete Lina Wertmüller als Journalistin, Schauspielerin, Autorin, Bühnenbildnerin und Regieassistentin.

Vom Theater zum Kino

Durch ihre Studienfreundin Flora Carabella, die Marcello Mastroianni geheiratet hatte, kam sie 1962 zum Film. Carabella vermittelte sie als Regieassistentin für Federico Fellini zu den Dreharbeiten von ACHTEINHALB. Im Jahr darauf drehte Lina Wertmüller mit kleinem Team und überwiegend mit Laiendarsteller:innen ihre erste eigene Regiearbeit DIE BASILISKEN. Wie in Fellinis I VITELLONI (1953) bevölkern auch hier träge Müßiggänger eine süditalienische Stadt. Der Film – von der Berlinale abgelehnt – gewann den Regiepreis beim Festival in Locarno und wurde von der Kritik gelobt, aber vom Publikum wenig beachtet. Nach einer Fernsehserie, einem Episodenfilm und unter männlichen Pseudonymen gedrehten Musicals und Italowestern entstand der Film, der Lina Wertmüllers Durchbruch bedeutete: Mit MIMI, IN SEINER EHRE GEKRÄNKT, der 1972 im Wettbewerb von Cannes gezeigt wurde, hat sie nicht nur ihren Stil, sondern auch ihr Thema gefunden. Die nächsten Filme variieren die Grundstruktur lediglich, auch wenn sie andere dramaturgische Typen verwenden: „Da ist der Mann aus dem Süden, er ist klein, arm und gehört für gewöhnlich der kommunistischen Partei an; seine soziale Benachteiligung gleicht er aus, indem er sich in der Familie und den Frauen gegenüber als absoluter Patriarch geriert, als Macho, als Gockel, als gallo. Er, der sich im politischen Leben einen Feind der Ausbeutung und Unterdrückung dünkt, ist im begrenzten Lebenskreis von Familie und Sexualität der schlimmste Unterdrücker.“ (Peter Buchka)

Grotesk und temperamentvoll

Ihren Stil, ihre Vorliebe für das Grobe, Chaotische, Grelle und Bunte erklärte Lina Wertmüller mit ihrem überbordendem Temperament: „Meine Natur ist mediterran. Ich liebe die Ironie, das Groteske, die stark überzeichneten Geschichten und Charaktere“. 1973 entstand LIEBE UND ANARCHIE, einer ihrer bekanntesten und besten Filme, über ein Attentat auf Mussolini, das in einem Bordell geplant wird. Lina Wertmüller war Feministin, aber vor allem Anarchistin. Auf die Frage, ob sie Frauenfilme wolle, antwortete sie, das sei ihr völlig egal. „Auf das Ergebnis kommt es an, Künstler müssen anarchisch sein und im Geiste immer bisexuell. Sie sind Mann oder Frau, je nachdem, welcher Weg die Fantasie geht.“ Bereits Mitte der 1970er Jahre hatte sie eine klare Vorstellung von den Prioritäten auf dieser Welt: „Frauen sollten wissen, dass ich diese Filme nicht machen konnte, weil ich eine Hexe mit übernatürlichen Kräften bin, sondern weil ich die wahren Gesetze, die unsere Gesellschaft regieren, analysiert und verstanden habe. Das ist nicht das unveränderbare Gesetz des übermächtigen patriarchalischen Gottes des Alten Testaments, sondern ein rein ökonomisches Gesetz.“

Internationale Erfolge

Mit ihren beiden folgenden Filmen HINGERISSEN ... (1974) und SIEBEN SCHÖNHEITEN (1975) wurde sie in den USA als wichtigste europäische Filmkünstlerin gefeiert. Während ihre Filme in Deutschland erst mit mehr als zehn Jahren Verspätung ins Kino kamen, standen die Leute in New York Schlange vor den Kinos, in denen fünf ihrer Filme gleichzeitig liefen. Die Groteske SIEBEN SCHÖNHEITEN wurde für vier Oscars nominiert und verschaffte Lina Wertmüller einen Vertrag mit Warner Bros. für vier Filme nach Themen ihrer Wahl und unter ihrer vollen künstlerischen Kontrolle. Doch die amerikanischen Koproduktionen konnten nicht an ihre vorherigen Erfolge anknüpfen. Nach CAMORRA (1985), der den Publikumspreis der Berlinale erhielt, wurde es ruhiger um Lina Wertmüller. Ihre Kinofilme wurden international kaum noch verliehen, sie arbeitete verstärkt fürs Fernsehen, inszenierte Theaterstücke und Opern. Ihr letzter Spielfilm fürs Kino entstand 2004.

Lina Wertmüller starb 2019 im Alter von 93 Jahren in Rom. Wir zeigen acht ihrer wichtigsten Filme aus den Jahren 1963 bis 1985 in der untertitelten italienischen Originalfassung.