Sonderschau im Neuen Museum

Die Gunst des Moments

von Thomas Heyden - 7.6.2023

Nürnberg - Momentum. Die Kunst des Augenblicks heißt die aktuelle Ausstellung (noch bis 24. September), mit der das Neue Museum mitten in der „Zeitenwende“ eine Standortbestimmung leistet. Zwölf zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sind dazu eingeladen, ihr Verständnis eines Begriffs vorzustellen, der vor allem in Politik und Sport Konjunktur hat.

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Stefanie Zoche, Resonanz, 2023 (Detail) © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Am Anfang war der Kirchentag. Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag (7. bis 11. Juni) brachte Zehntausende überwiegend junger Menschen nach Nürnberg. Grund genug für das Neue Museum, sich mit diesem Großereignis inhaltlich auseinanderzusetzen. Das Motto des Kirchentags, „Jetzt ist die Zeit“, führte zum Begriff des „Momentums“ – einer Chance, die es zu ergreifen gilt. In diesem Begriff berühren sich „der Moment“ und „das Moment“: die flüchtige Zeit und der besondere Umstand, der aus einer Situation erwächst. Ist er glücklich, darf von einem Momentum gesprochen werden. Die Ausstellung in Kooperation mit dem Kunstreferat der Evang.-Luth. Kirche in Bayern stellt die Frage, ob auch in der durch Krisen bedingten „Zeitenwende“ ein Momentum steckt.

Die Münchner Künstlerin Stefanie Zoche macht es vor, wie Zukunft heute noch gedacht werden kann. Sie betreibt Kunst als Forschung und beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Baustoff mit einem möglichst niedrigen CO2-Fußabdruck aussehen könnte. In diesem Zusammenhang entwickelte sie einen Baustein aus Sand, der mit biologisch abbaubarem Binder hergestellt wird. Dieser könnte eine echte Alternative zu Beton sein, dessen Produktion mit einem Anteil von bis zu acht Prozent erheblich zu den weltweiten CO2-Emissionen beiträgt. Das auf dem Klarissenplatz in aller Öffentlichkeit produzierte Baumaterial schichtete Zoche zu rudimentären Wänden auf, die im Eingangsbereich des Museums die Architektur der Wendeltreppe von Volker Staab aufgreifen. Das ist mehr als nur ein reizvoller ästhetischer Kommentar – nämlich eine ökologische Alternative zum hier verbauten Beton.

Auf ganz andere Weise entwirft Stefanie Unruh ein Bild der Zeit, in der uns der Krieg bedrohlich nahekommt. Ein prächtiger Kronleuchter hängt merkwürdig niedrig in einem dunklen Raum. Er sendet Morsezeichen. Ein Menetekel des Krieges, das Unruh in die Worte einer alten hinduistischen Schrift kleidet. Sie werden noch schrecklicher, wenn man weiß, dass der Physiker Robert Oppenheimer sich ihrer ebenfalls bediente, um die Vernichtungskraft der Atombombe zu beschreiben. Wer dem Lüster nähertritt, entdeckt unter dem facettierten Kristallschmuck gläserne Nachbildungen von Patronen und Handgranaten. Stefanie Unruh weiß, dass subtiler Schrecken tiefer unter die Haut geht. Ein Horror nicht weit weg von der Realität, in der viel Geld mit Waffen verdient werden kann. So pendeln die Ausstellungsbeiträge zwischen Utopie und Dystopie. Doch unabhängig von den Vorzeichen, unter denen wir Zukunft denken, wird es immer auf uns alle ankommen, wie sie tatsächlich werden wird – ökologisch, gesellschaftlich und politisch.

https://www.nmn.de

Neues Museum Nürnberg
Klarissenplatz
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Telefon: 0911 2 40 20 69
nmn.de

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