Nürnberg als Vorbild

Die Magie des Spielzeugs

von Karin Falkenberg - 7.6.2023

Nürnberg - Das Spielzeugmuseum Nürnberg hat ein Pendant in Istanbul – und das nicht zufällig. Als der türkische Universalgelehrte, Schauspieler und Dichter Sunay Akın 1989 das erste Mal Nürnberg besuchte, war er auch im Spielzeugmuseum. Bei diesem Besuch entdeckte Akın, dass Spielzeug ein kulturspezifisches Weltthema ist. Erfüllt und berührt von diesem Impuls, gründete er 2005 das Spielzeugmuseum Istanbul. Jetzt sind die besten türkischen Objekte aus seinem Haus wiederum bis zum 28. April 2024 in Nürnberg zu sehen.

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Titelmotiv der Ausstellung Spielzeug der Türkei, Museum der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum.

Sunay Akın war 1989 zum ersten Mal für eine Literaturveranstaltung in Nürnberg – eine Reise mit ungeahnten Folgen. Der türkische Schriftsteller hatte eigentlich geplant, sich die touristischen Highlights der Stadt anzusehen. In der Lobby seines Hotels fiel ihm eine Anzeige ins Auge, die sein Erstaunen hervorrief und zugleich seine Neugier weckte: Nürnberg hatte ein Spielzeugmuseum. Akın fragte sich, was für eine besondere Stadt Nürnberg sein mochte, die so etwas Kleinem wie Spielzeug ein eigenes Museum widmete.

Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Am Morgen seines ersten Nürnberg-Aufenthalts war Akın der erste Besucher im damals noch von Lydia Bayer geleiteten Haus. Am Abend dieses Tages war er der letzte, der das Museum wieder verließ. Während der acht Öffnungsstunden war etwas Wesentliches geschehen. Sunay Akın – der Weltpoet aus der Türkei, der Erzähler, Schauspieler und Kosmopolit – hatte erspürt, dass einzig und allein Spielzeug es schafft, die gesamte Welt unter einem Dach zu zeigen und zu erklären.

Seinen ersten Besuch im Spielzeugmuseum Nürnberg reflektierte er so: „Als ich zwischen den Spielzeug-Automobilen, -Flugzeugen und -Zügen umherwanderte, fand ich mich in einer Fülle und einem Reichtum wieder, den ich noch in keinem Industriemuseum gesehen hatte. Ich bewunderte die filigran auf Glas gezeichneten Bilder für die Laterna Magicas und fühlte mich wie in einem Kinofilm. Ich applaudierte den Figuren in den Papiertheaterbühnen zu ihren Stücken, dass mir vor Begeisterung die Handflächen schmerzten. [...] Eine Stunde im Nürnberger Spielzeugmuseum war das Licht von tausend Büchern wert ...“

Spielzeug ist ein Weltthema, das kulturspezifisch funktioniert: Kinderspielzeug aus Deutschland ist ein Spiegel deutscher Kultur, während türkisches Spielzeug die kulturellen Besonderheiten der Türkei darstellt. Zugleich verbindet Spielzeug Menschen länderübergreifend. Spielzeug ist kulturell einzigartig und zugleich global verständlich.

Zurück in der Türkei begann Akın, inspiriert von diesem Besuch, nach historischem türkischen Kinderspielzeug zu suchen und es zu sammeln. In den Basaren von Istanbul, auf kleinen Märkten und in riesigen Gebrauchtwarenläden erspähte er die Alltags-Objekte, die ursprünglich in türkischen Häusern und auf Straßen bespielt worden waren und denen vor ihm noch niemand in der Türkei kulturhistorische Bedeutung zugemessen hatte. Die Sammlung wuchs rasch, denn sein neues Interessensgebiet sprach sich schnell im Familien- und Freundeskreis herum. So komplettierten Menschen aus Akıns Umfeld durch Geschenke jahrelang die Sammlung des Tausendsassas. In Akın reifte parallel der Traum eines eigenen, türkischen Spielzeugmuseums.

15 Jahre nach seinem Besuch in Nürnberg öffneten seine Frau Belgin und er gemeinsam die Tore zum „Spielzeugmuseum Istanbul“ – ganz bewusst am 23. April, dem Tag der Kinder, der seit 1929 jährlich mit landesweiten Festen begangen wird. An diesem Tag übernehmen Kinder in der Türkei symbolisch Macht und Verantwortung.

Die Ausstellung Spielzeug der Türkei zeigt zu 90 Prozent Unikate, einzigartige selbstgemachte Spielzeuge, handgeschnitzt, gesägt, geschraubt, gehämmert, aus Lehm geformt, gebrannt, aus Stoff genäht, aus Draht gebogen, aus Metall gedrückt. Der Mehrheit der über 140 Objekte sieht man das Bespieltwordensein deutlich an. Sie wirken authentisch, wie gerade eben aus Kinderhand eingesammelt. Und sie sind für deutsche Augen oft typisch türkisch: Nasreddin Hoca, der rücklings auf seinem Esel sitzt – als Holzspielzeug. Die kleine Meerjungfrau aus dem Meerbusen bei Bodrum – als handgenähte und paillettenbesetzte Spielzeug-Schönheit. Ein stilvoll-osmanisch aufgehalftertes Schaukelpferd und nicht zuletzt die Schattentheaterfiguren Karagöz und Hacivat.

Wenige Objekte entstammen industrieller Herstellung – und auch diese Spielzeuge sind bemerkenswert: Kunststoff-Puppen aus wahrlich dünnem und an Händen und Füßen zudem dünngespieltem Material. Ein Çay-Tablett mit Teekanne, Zuckerdose und den berühmten taillierten türkischen Çay-Gläsern – kindgerecht aus Plastik. Typisch türkisch ist auch der fahrende Spielwarenhändler im Spielzeugformat, dessen Pendant in der mitteleuropäischen Kultur als Genrebild bekannt ist.

Die Präsentation wird grundlegend durch 16 von Sunay Akın verfasste Spielzeug-Geschichten strukturiert. Der Autor erzählt über türkische Puppen und reflektiert über die Beliebtheit türkischer Spielzeuglastwagen, Autofähren am Bosporus und Istanbuler Innenstadtfährschiffe, die zwei Kontinente verbinden. Er schreibt über Spielzeugflugzeuge, Blechbusse und das größte Pferd der Spielzeuggeschichte. Für türkisch wie deutsch sozialisierte Besucherinnen und Besucher gibt es überraschende poetische Akzente zu Spielzeug aus Lehm sowie Spielzeug, das auch andere große europäische Geschichtenerzähler inspirierte, wie etwa Hans-Christian Andersen.

Spielzeugmuseum
Karlstraße 13 – 15
90403 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 17 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-31 64
spielzeugmuseum-nuernberg.de

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