Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände

Julius Streichers „Schicksalsjahr“

von Melanie Wager - 7.6.2023

Nürnberg - Das Jahr 1923 bedeutete mit Ruhrkrise, Hyperinflation und Hitler-Putsch für die deutsche Bevölkerung vor allem Krisen und Unsicherheit – für Julius Streicher jedoch wurde es ein ganz persönliches „Schicksalsjahr“. Warum? Das berichtet die Forscherin Melanie Wager vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände.

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„Deutscher Tag“ in Nürnberg 1923.

Am 21. April 1923 brachte Julius Streicher in Nürnberg die erste Ausgabe der antisemitischen NS-Zeitung Der Stürmer als neues Sprachrohr für seine Auseinandersetzung mit seinen lokalpolitischen Gegnern heraus. Schon Anfang der 1920er Jahre hatte sich der Lehrer, ohne zur Entourage Adolf Hitlers und der NSDAP in Südbayern zu gehören, rund um seine Wahlheimat
Nürnberg regionale Bedeutung als führender Protagonist in der völkisch-antisemitischen Szene Nordbayerns erworben. Nach einigen Querelen zwischen den Parteien hatte Streicher schließlich den Führungsanspruch des NSDAP-Vorsitzenden Hitler anerkannt und war im Oktober 1922 mitsamt zahlreicher Anhänger – unter Wahrung seiner Position in Franken – in die NSDAP eingetreten.

Beim „Deutschen Tag“ Anfang September 1923 in Nürnberg, der der NSDAP reichsweit zum öffentlichen Durchbruch verhalf, standen Streicher und Hitler bereits Seite an Seite auf dem Hauptmarkt (Abb. oben rechts). Zwar waren zu diesem frühen Zeitpunkt aus politischen Konkurrenten schon „Kampfgefährten“ geworden, erst der
Hitler-Putsch im November jedoch markierte für Streicher den Beginn der Duz-Freundschaft mit Hitler. „Vor 1923 hat Hitler mir mißtraut, obwohl ich ihm meine Bewegung mit offenem Gesicht übergeben hatte“, äußerte Streicher 1946 vor dem Internationalen Militärgerichtshof.

Der gescheiterte Umsturzversuch in München vom 9. November 1923 ist weithin ein Begriff, weit weniger bekannt ist die Beteiligung des späteren fränkischen Gauleiters Julius Streicher: Angeblich sprang dieser beim Schusswechsel zwischen den Putschisten und der bayerischen Landespolizei schützend vor Adolf Hitler. Nach dem Bekanntwerden seiner tragenden Rolle folgten für den Lehrer, der laut einer Vormerkung des bayerischen Kultusministeriums „auch in München dabei war (zweifellos wieder ohne Urlaub), in Ansprachen vom Kraftwagen aus sich offen auf die Seite des Umsturzes gestellt und gegen die Regierung gehetzt hat“, eine gemeinsame Haftzeit mit Adolf Hitler in Landsberg, die Suspendierung aus dem Schuldienst – aber auch die umfassende Protektion durch den späteren Diktator.

Noch zehn Jahre später, auf einer Postkarte zum Reichsparteitag 1933, wurden Adolf Hitler und Julius Streicher als eine Art Doppelspitze der NS-Bewegung abgebildet und die Verbindung der beiden gleichgesinnten radikalen Antisemiten seit 1923 bekräftigt (Abb. unten links). Nach 1933 konnte der weit über seinen Gau hinaus bekannte „Frankenführer“ nach Belieben schalten und walten, auf Reichsebene wurde er gleich einer grauen bzw. „braunen“ Eminenz mit Samthandschuhen angefasst.

Erst als sich die lokale Parteispitze in den späten 1930er Jahren unter Streichers Regie – am NS-Staat vorbei – massiv persönlich an jüdischem Eigentum bereicherte, stimmte Hitler nach langem Zögern zu, dass gegen einen seiner ältesten Mitstreiter vorgegangen wurde. Streicher wurde in einem Parteigerichtsverfahren 1940 als Gauleiter offiziell beurlaubt, durfte aber den Stürmer weiter herausgeben und die Millioneneinnahmen behalten. Seine Sonderstellung endete endgültig erst mit Hitlers Selbstmord im April 1945. Im Nürnberger Prozess wurde Streicher zum Tode verurteilt.

Mit verschiedenen Veranstaltungen beleuchtet das Dokumentationszentrum die Ereignisse vor 100 Jahren. Mehr Informationen gibt es unter: dokumentationszentrum-nuernberg.de.

https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Bayernstraße 110
90478 Nürnnberg
Öffnungszeiten: Mo – Fr 9 – 18 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-75 38
dokumentationszentrum-nuernberg.de

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