Im Ludwig Erhard Zentrum

Das Geld, das aus der Kiste kam

von Irina Hahn - 7.6.2023

Nürnberg - Vor 75 Jahren, am 20. Juni 1948, wurde die D-Mark als offizielle Währung eingeführt. Bis heute gilt sie als Symbol für Stabilität und wirtschaftliche Stärke, auch wenn sie längst vom Euro abgelöst worden ist. Aber was genau ist damals passiert, und was hatte Ludwig Erhard, der oft auch als Vater der D-Mark bezeichnet wird, damit zu tun? Das Ludwig Erhard Zentrum (LEZ) verwahrt dazu ein bemerkenswertes Exponat und feiert das Jubiläum.

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Originale D-Mark-Transportkiste, mit der die neue Währung 1948 in Deutschland ankam.

Eine schlichte Holzkiste, die Kanten von Holzwürmern zernagt: Das Exponat in der Dauerausstellung des LEZ-Neubaus wirkt unscheinbar, hat es aber in sich. Es handelt sich um eine von 23.000 Transportkisten, die die Amerikaner in der Geheimoperation „Bird Dog“ (dt. „Spürhund“) im
Frühjahr 1948 von New York nach Deutschland verschiffen ließen. Gemäß Aufdruck enthielt die Fracht „Türknäufe“ (engl. „Doorknobs“). In Frankfurt wurde der Inhalt der Kisten in den Tresorräumen der ehemaligen Reichsbankzentrale eingelagert. Spätestens jetzt war klar, dass sich darin keine Türknäufe befanden: Unter dem Holz versteckten sich Banknoten, Aufdruck: „Deutsche Mark“ – in Summe knapp sechs Milliarden D-Mark Startkapital für den wirtschaftlichen Neuanfang Deutschlands.

Not, Hunger und Mangel sowie ein dysfunktionales Wirtschaftssystem prägten die unmittelbaren Nachkriegsjahre des besiegten und weitgehend zerstörten Deutschlands. Die deutsche Währung, die Reichsmark, war stark entwertet und hatte ihre Geldfunktion verloren. Die meisten Auslagen und Schaufenster blieben leer. Tauschhandel und Schwarzmarkt florierten. Schnell wurde den Alliierten – insbesondere den Amerikanern mit dem verantwortlichen Militärgouverneur Lucius D. Clay – klar: Damit der tägliche Überlebenskampf der Verbraucher und Unternehmen ein Ende fand und Deutschland wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, war eine grundlegende wirtschaftliche Neuordnung und baldige Währungsreform dringend notwendig.

Die Verhandlungen der vier Siegermächte scheiterten an einem scheinbar nebensächlichen Problem, dem Ort des Notendrucks. Schließlich entschieden die Amerikaner, die Währungsreform allein in den drei Westzonen durchzuführen.

Bereits seit September 1947 wurden unter strengster Geheimhaltung in New York und Washington die hierfür benötigten Banknoten gedruckt. Ein entscheidender Akteur war Edward Adam Tenenbaum, Mitarbeiter im Stab von Lucius D. Clay. Er gab der neuen deutschen Währung ihren Namen, „Deutsche Mark“.

Am Sonntag, dem 20. Juni 1948, trat die Währungsreform in Kraft. Die Menschen standen in langen Schlangen an den
Ausgabestellen, um ihr „Kopfgeld“ zu erhalten. Dabei durften pro Person 40 Reichsmark in 40 Deutsche Mark umgetauscht werden. Auch Löhne und Gehälter sowie Mieten wurden im Verhältnis 1:1 gewechselt. Darüber hinaus gehende Werte – egal ob Bargeld, Sparguthaben oder Schulden – wurden im Verhältnis 10:1 umgestellt: Aus 10 Reichsmark wurde 1 D-Mark. Trotz des harten Währungsschnitts wurde die Währungsreform durch die Aufbruchsstimmung ein voller Erfolg. Und dieser ereignete sich über Nacht: Am Montag, dem 21. Juni, herrschte in den Geschäften eine überbordende Fülle. Auch Waren, die es jahrelang
allenfalls auf dem Schwarzmarkt gegeben hatte, lagen wieder in den Schaufenstern.

Dennoch war der sogenannte „Schaufenster- oder Lichtschaltereffekt“ nicht einfach ein Geschenk der Amerikaner an die Deutschen. Für den erfolgreichen Neustart der deutschen Wirtschaft brauchte es einen „marktwirtschaftlichen Urknall“. Dieser war maßgeblich das Werk von Ludwig Erhard, der als Wirtschaftsexperte direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schnell in politische Schlüsselpositionen gekommen war.

Seit März 1948 hatte Erhard als Direktor der „Verwaltung für Wirtschaft“ die Funktion des Wirtschaftsministers für die westlichen Besatzungszonen inne. Als solcher drängte er schon früh auf ein Ende der staatlichen Bewirtschaftung und eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien. Der Preis sollte wieder als Lenkungsinstrument dienen.

Was aus heutiger Sicht naheliegend klingt, war damals keine Selbstverständlichkeit. Denn die meisten Ökonomen vertrauten auf staatliche Lenkung. Doch Ludwig Erhard setzte seine Position gegen viele Widerstände mit einem Coup durch: Am Tag der Währungsreform ließ er seinen Sprecher im Radio die Aufhebung der staatlichen Zwangsbewirtschaftung und Preisbindung verkünden, obwohl zu diesem Zeitpunkt das dafür erarbeitete Gesetz von den Besatzungsmächten weder genehmigt, geschweige denn in Kraft gesetzt worden war. Ohne die von Erhard parallel zur Währungsreform durchgesetzte Wirtschaftsreform wäre die radikale Wende des Wirtschaftslebens hin zum Positiven nicht möglich gewesen. Ludwig Erhard war also nicht der Vater der D-Mark, sondern einer der bedeutendsten Väter des Wirtschaftswunders der 1950er-Jahre.

In der öffentlichen Wahrnehmung vermischten sich diese beiden Zuschreibungen oftmals. Für die Akzeptanz und den Erfolg der neuen Währung und marktwirtschaftlichen Ordnung war das letztlich ein Vorteil. Denn so konnten sich die Deutschen mit der D-Mark identifizieren und stolz auf sie sein. Darüber hin-
aus trug die Wirtschafts- und Währungsreform zur Festigung der Demokratie bei: Für die Menschen war die neue Währung ein Symbol der Freiheit und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Und obwohl die D-Mark seit 2002 vom Euro abgelöst wurde, wirkt ihr Mythos bis heute nach.

Das Ludwig Erhard Zentrum erinnert mit speziellen Themenführungen und einer Lesung an den 75. Geburtstag der D-Mark, der auch ein Jubiläum für das LEZ ist. Denn am 20. Juni 2023 jährt sich die Eröffnung des Zentrums für Ausstellung, Dokumentation, Begegnung und Forschung zum fünften Mal.

Ein großes Schaufenster in der LEZ-Ausstellung simuliert den „Lichtschaltereffekt“. © LEZ

Ludwig Erhard © Doris Adrian/Bundesregierung

Ludwig Erhard Zentrum
Ludwig-Erhard-Straße 6
90762 Fürth
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Telefon: 0911 621-8080
ludwig-erhard-zentrum.de

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