Siemens Healthineers MedMuseum

Die grüne Patientin in der Hütte

von Ingo Zenger - 7.6.2023

Nürnberg - Mitte der 1970er Jahre macht eine faszinierende neue Technologie von sich reden, die das Innere des menschlichen Körpers mit Hilfe von Magneten und Hochfrequenztechnik abbilden kann. Das Verfahren, das heute als Magnetresonanztomographie bekannt ist, kommt zunächst nur an Unis zum Einsatz und ist auf die Abbildung kleiner Körperteile wie Finger beschränkt. Siemens beschließt 1977, ein Ganzkörper-System für Kliniken und radiologische Praxen zu entwickeln – und das Entwicklungs-Team löst die Aufgabe mit einigen verblüffenden Ideen.

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Das MAGNETOM GBS 1 aus dem Jahre 1983 ist der erste kommerzielle Magnetresonanztomograph in der Geschichte von Siemens Healthineers.

Als die Arbeit am ersten Prototyp im Februar 1978 beginnt, steht das Team um den Physiker Arnulf Oppelt vor ungewöhnlichen Herausforderungen. Denn die Entwicklung eines Magnetresonanztomographen (MRT) unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht grundlegend von der Konstruktion anderer medizintechnischer Systeme wie Röntgengeräten oder Computertomographen. Die MRT arbeitet mit Magnetfeldern, die viele tausendmal stärker sind als das Magnetfeld der Erde. Selbst winzige Einflüsse aus der Umgebung, wie vorbeifahrende Autos oder andere metallische Gegenstände, können die zu dieser Zeit vorhandene Technik stören und die Qualität der Bilder beeinträchtigen. Um solche Störungen des Magnetfelds zu vermeiden, errichtet Siemens auf dem Gelände des Zentralen Forschungslabors in Erlangen eine Holzhütte ohne magnetische Teile. Nicht einmal ein Eisennagel ist darin verbaut!

Mitte 1979 ist der erste Prototyp in der Holzhütte aufgebaut und betriebsbereit, doch noch immer hat das Team mit Störungen zu kämpfen: Da die Frequenz der Magnetresonanz auf der von Radiowellen liegt, beeinflussen Signale von Kurzwellensendern die Bildqualität. Das Problem ließe sich eigentlich schnell durch einen Filter lösen, den die Siemens-Energiesparte im Portfolio hat; bis zur Lieferung sollten jedoch noch Wochen oder gar Monate vergehen. Die Bildstörungen bleiben zunächst bestehen – während der November 1979 immer näher rückt. Arnulf Oppelt und der Physiker Wilfried Loeffler, der sich vor allem um die Programmierung der Software kümmert, sollen vor der Budget-Durchsprache für das kommende Jahr reproduzierbare Ergebnisse vorlegen. Das heißt in diesem Fall: ein Bild.

„Ich habe dann zum Wilfried Loeffler gesagt: Das ist kein Problem“, erinnert sich Arnulf Oppelt mehr als 40 Jahre später. „Wir messen einfach sehr lange, immer wieder und wieder, und dann mitteln sich diese Störungen raus.“ Für die mehrstündige Aufnahmezeit brauchen die beiden ein Messobjekt, das sich nicht bewegt, eine Struktur hat und das man aufschneiden kann, um nachzusehen, ob das Bild tatsächlich den inneren Aufbau zeigt. „Wir brauchten irgendetwas, was Wasser enthält“, erklärt Loeffler.

Die beiden fahren zu einem nahegelegenen Gemüse-Laden und kaufen eine große, saftige grüne Paprika. „Die haben wir dann in den Prototyp gelegt und gesagt: Ok, jetzt stellen wir das Ding so ein, dass es zwei Stunden lang misst.“ Am Abend sind die Daten im Kasten, Oppelt und Loeffler planen die Bildberechnung für den Morgen und gehen nachhause.

„Am nächsten Tag haben wir das Bild dann erstmal rekonstruiert und waren eigentlich begeistert“, erzählt Oppelt. „Dann haben wir es auch unseren Vorgesetzten gezeigt und die waren noch viel mehr begeistert. Alle Welt war begeistert von der Paprika!“ Sofort ist klar, dass Oppelt und Loeffler weitermachen sollen. Bereits vier Monate später können die beiden den nächsten großen Meilenstein der Entwicklung präsentieren: ein MRT-Bild des Kopfes ihres Vorgesetzten Alexander Ganssen.

Ab Februar 1983 testet Siemens eine fortgeschrittene Version des Prototyps an der Medizinischen Hochschule Hannover im klinischen Umfeld erfolgreich auf Alltagstauglichkeit – und im August 1983, nach knapp dreimonatiger Installationszeit, kann schließlich das erste kommerzielle MRT-System in der Geschichte von Siemens Healthineers am Mallinckrodt Institute of Radiology in St. Louis (USA) in Betrieb genommen werden: das MAGNETOM GBS 1.

Der diagnostische Wert der Magnetresonanztomographie ist bereits zu dieser Zeit offensichtlich: Nie zuvor hat sich weiches Körpergewebe wie das menschliche Gehirn so detailliert und kontrastreich abbilden lassen. Fachleute sind sich schnell einig, dass der Technologie eine große Zukunft bevorsteht. Heute – 40 Jahre voller technologischer Meilensteine später – zählt die MRT zu den bedeutendsten bildgebenden Diagnoseverfahren der Medizin.

Das Siemens Healthineers MedMuseum macht die Anfänge und einige der folgenden Entwicklungen der Technologie im Ausstellungsbereich „Schichten und Schnitte“ anschaulich. Zusätzlich erscheint Mitte Juli 2023 ein kostenloses, im MedMuseum erhältliches 80-seitiges Buch, das die Geschichte der Magnetresonanztomographie bei Siemens Healthineers ausführlich und mit zahlreichen Bildern erzählt.

Arnulf Oppelt vor dem Ganzkörpermagneten für die erste klinische Installation in Hannover. © Siemens Healthineers

Kopfaufnahme mit dem Prototyp des MAGNETOM aus dem Jahre 1982. © Siemens Healthineers

Siemens Healthineers MedMuseum
Gebbertstraße 1
91052 Erlangen
Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 – 17 Uhr
Telefon: 09131 84 54 42
medmuseum.siemens-healthineers.com

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