Neue Kunst, neue Hängung und neue Kommunikationskanäle im GNM

von Christian Rümelin - 18.10.2023

Nürnberg - Der Bildhauer, Zeichner und Grafiker Heinz-Günter Prager überließ dem Germanischen Nationalmuseum im vergangenen Jahr seine private Kunstsammlung. Sie umfasst rund 500 Papierarbeiten von deutschen Künstlern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ab dem 29. Februar 2024 werden ausgewählte Highlights erstmals in einer großen Sonderausstellung zu sehen sein.

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Norbert Kricke: Ohne Titel, 1954 © GNM, Annette Kradisch

Herr Prager, das Germanische Nationalmuseum hat Ihre Sammlung an Graphischen Blättern nahezu komplett bekommen. Warum?

In den letzten Jahrzehnten hat sich eine enge Beziehung zum GNM entwickelt. Ich mag dieses Museum seit langer Zeit, denn Wunderkammern haben mich immer inte­ressiert – als Ursprung aller Sammlungen und Museen. Und das Germanische Nationalmuseum ist eine überaus große Wunderkammer. 1990 gab es im Rahmen der Ausstellungsreihe Präsenz der Zeitgenossen eine Ausstellung meiner Skulpturen in vielen Räumen des Museums. Der damalige Generaldirektor Gerhard Bott hat mir großen Freiraum gelassen. Das war eine Ausstellung, an die ich mich gerne erinnere. Später, 2005, zeigte Rainer Schoch, damals Leiter der Graphischen Sammlung, meine Druckgrafik in den neu gebauten Ausstellungshallen. Darüber hinaus waren seit 1990 immer wieder Bilder, Skulpturen und grafische Arbeiten aus unserer Sammlung als Dauerleihgabe im GNM zu sehen. Daher freue ich mich, dass der Bestand – er besteht aus Zeichnungen, Fotoarbeiten, Mappenwerken und Druckgrafik – nun hier seinen Platz gefunden hat.

Sie sagen ‚unsere Sammlung‘, und sie firmiert tatsächlich unter dem Namen SammlungFrançoise und Heinz-Günter Prager. Welchen Anteil hat Françoise?

Françoise habe ich 1963 in Münster kennengelernt. Wir waren beide 19 Jahre alt. Françoise lernte an einer Sprachschule Deutsch und ich studierte an der Werkkunstschule Münster ab 1964 Bildhauerei. Von 1965 bis 1968 arbeitete sie in ihrer Heimatstadt Paris. Wir besuchten uns regelmäßig, das heißt ich war etwa vier Mal im Jahr in Paris und sie ebenso oft in Münster. 1968 haben wir dann geheiratet und sind nach Köln gezogen. Françoise teilte meine Leidenschaft, sie hatte ein starkes Interesse an bildender Kunst, Theater und Musik. So haben wir während unserer Ehe immer wieder grafische Blätter erworben. Schon am Anfang der 1970er Jahre besaßen wir zum Beispiel Bilder von Michael Buthe, C. O. Paeffgen und Sigmar Polke. Natürlich diskutierten wir darüber gemeinsam, auch immer wieder in Hinblick auf meine eigene Kunst.

Nach welchen Kriterien haben Sie beide die Zeichnungen ausgewählt?

Ob es bestimmte Kriterien gab, ist schwer zu beantworten. Das Entscheidende ist vielleicht: Die Zeichnungen mussten anders sein als meine eigene Arbeit, sie mussten Widerstand leisten und nicht bestätigen. Und sie mussten uns faszinieren, so dass wir sie besitzen wollten. Das traf auf Polke und Paeffgen zu. Von beiden Künstlern konnten wir noch Blätter frei wählen, da wir sie sehr früh, größtenteils um 1970, zu erwerben begannen – bei Polke in der Galerie, bei Paeffgen direkt im Atelier. In den 1970er Jahren haben wir von noch weiteren Künstlern regelmäßig Arbeiten erworben, zum Beispiel Fotoarbeiten und Zeichnungen von Bernhard Blume und Johannes Brus. Oft waren mit dem Sammeln Freundschaften verbunden, die lange anhielten oder anhalten. Wobei ich sagen muss, dass wir selten mit Freunden getauscht, sondern die Blätter in der Regel käuflich erworben haben. Wir wollten die freie Wahl haben.

Begonnen haben Sie mit einem Blatt von Josef Albers.

Das stimmt. Damals, das war 1961, gab es im Westfälischen Kunstverein das Blatt Allegro von Josef Albers als Jahresgabe. Albers erster Siebdruck, der kostete, war man Mitglied im Kunstverein, 5 DM Aufgeld. Meine Mutter schenkte mir das Blatt zu Weihnachten. Es hing als Inkunabel über meinem Bett und war mir in allen Wirren eines noch pubertierenden Jungen Ansporn und Ziel. Lange her.

In Ihrer Sammlung befinden sich viele Zeichnungen, außerdem zeichnen Sie selbst. Was bedeutet Zeichnen für Sie?

Es sind Freiräume, die das Zeichnen zulässt. Du hast dieses Blatt Papier vor dir und kannst erstmal alles machen. Sobald man aber eine Skulptur oder ein Bild beginnt, werden diese Freiräume begrenzt. Das Material des Bildhauers und auch des Malers zwingt zu Überlegungen, die die Freiheit des Zeichnens verlassen. Wenn eine Zeichnung nicht passt, werfe ich sie in den Papierkorb. So spontan hier das Tun sein kann, so spontan kann man sein Tun auch verwerfen. Das kleine Format und der Bleistift – das ist sehr direkt. Es ist der Ursprung, die erste Idee, deshalb befinden sich auch viele kleine Blätter in der Sammlung.

Auch viele kleine Blätter von Bildhauern.

Naturgemäß waren Zeichnungen von Bildhauern mir nahe. Bildhauer zeichnen anders als zum Beispiel Maler, auch wenn sie sehr frei arbeiten und nicht konkret an einem Entwurf zu einer Skulptur. Die drei Blätter von Norbert Kricke sind hierfür ein Beispiel. Sie sind frei, umspannen das Blatt, so wie seine Skulpturen den Raum umspannen. Übrigens haben mich nie Zeichnungen von Zeichnern, die nur zeichnen, also reine Grafiker sind, interessiert. Da bricht nie etwas auf, da genügt sich alles selbst, da gibt es keinen Widerstand zu einem anderen Medium.

Ist Ihre Sammlung mit der Übergabe an das GNM abgeschlossen oder sammeln Sie weiter?

Ja und Nein. Nach dem Tod von Françoise 2012 wollte ich nicht mehr weitersammeln. Angesichts dieses Verlusts hatten für mich viele Arbeiten ihre Bedeutung verloren. Aber dann habe ich mich umentschlossen. Und ich lernte Susanne Ellinghaus kennen, sie ist Bühnen- und Kostümbildnerin mit großer Leidenschaft für Literatur. 2014 heirateten wir und seitdem haben wir immer wieder gemeinsam Zeichnungen und Bilder erworben. Also ja, wir sammeln weiter. Wir werden weiterhin Zeichnungen und Bilder erwerben, darüber diskutieren und uns daran erfreuen.

Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 20.30 Uhr
Telefon: 0911 13 31-0
www.gnm.de

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