Die Retterinnen des Albrecht-Dürer-Hauses: Einsatz unter Lebensgefahr

von Gabriele Koenig - 18.10.2023

Nürnberg - Zwei engagierte Frauen, die ihr Leben für das Albrecht-Dürer-Haus aufs Spiel gesetzt haben, erfahren eine späte Würdigung: Im neu geplanten Erdgeschoss des Museums wird an Marie Falcke und ihre Tochter Gertrud Frank, die im Zweiten Weltkrieg im Wohnhaus des weltberühmten Renaissance-Künstlers ausharrten und auch Brandnester löschten, mit Namen und Bildern erinnert. Wie das kam?

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Blick auf das Albrecht-Dürer-Haus (vorn rechts) am Tiergärtnertorplatz © Christine Dierenbach

Das Albrecht-Dürer-Haus ist heute eines der bekanntesten Häuser der Stadt und als Museum definitiv eine der touristischen Attraktionen Nürnbergs. Seine Geschichte begann vor Jahrhunderten und ist ein wenig verworren: Erbaut wurde das markante Eckhaus am Tiergärtnertorplatz unterhalb der Kaiserburg wohl 1420, achtzig Jahre später modernisierte es der Astronom Bernhard Walther (1430-1504). Ab 1509 wohnte Albrecht Dürer zusammen mit seiner Frau Agnes, seinem Bruder Hans und seiner Mutter Barbara sowie Bediensteten und Mitarbeitern darin. Der Renaissance-Künstler hatte zugleich seine Werkstatt im Haus und arbeitete bis zu seinem Tod 1528 dort.

Im Lauf der folgenden Jahrhunderte wechselte das Haus wohl zwei Dutzend Mal den Besitzer, bevor es die Stadt Nürnberg 1826 – im Vorgriff auf Dürers 300. Todestag am 6. April 1828 – erwarb. 1871, 400 Jahre nach Dürers Geburt, erfolgte schließlich die Gründung der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung, die das Gebäude damals als Gedenkstätte und Museum führte. An guten Tagen, wie zum Beispiel während des Christkindlmarktes, wird es heute täglich von rund 500 Interessierten besucht; gelegentlich kommen sogar 1000 Menschen, um zu sehen, wie Albrecht Dürer lebte und arbeitete.

Ohne Marie Falcke und ihre Tochter Gertrud aber gäbe es das weitgehend original erhaltene Gebäude in der Altstadt womöglich nicht mehr. Das kam so: Ursprünglich wurde jeweils ein Nürnberger Künstler zum Kustos des Albrecht-Dürer-Hauses berufen. Er – es handelte sich ausschließlich um Männer – hatte Wohnrecht und konnte eigene Werke dort verkaufen, dafür kümmerte er sich im Gegenzug um das Haus und führte Besucherinnen und Besucher hindurch.

1927 übernahm der Maler August Falcke diese Aufgabe. 1872 geboren, hatte er an der an der Nürnberger Kunstgewerbeschule sowie an der Akademie für Bildende Künste in München studiert und war dann als Kirchenmaler im Rheinland tätig. 1910 kehrte er nach Franken zurück und spezialisierte sich auf Genre- und Landschaftsmalerei. Falcke erlag 1930 einem Lungenleiden, möglicherweise hatte das kalte Haus seinen Anteil daran. Wie dem auch sei: Der Maler hinterließ Frau und Tochter.

Marie Falcke (1890-1966) hatte ihren Mann während seiner lang dauernden Krankheit schon erfolgreich vertreten und durfte – eine Ausnahme – als Hausverwalterin im Albrecht-Dürer-Haus bleiben. Sie hatte sich eingearbeitet in Dürers Leben und Werk, konnte auch Führungen anbieten. „Sie hat sich sehr mit dem Dürer-Haus identifiziert“, berichtet Christine Demele, die Leiterin des Museums, die die Geschichte der beiden Frauen jetzt erforscht hat. Im Zweiten Weltkrieg harrte Marie Falcke mit der 1920 geborenen Gertrud im Haus aus, selbst als 1942 Bombentreffer in der Nachbarschaft erste Beschädigungen auch am Albrecht-Dürer-Haus verursacht hatten.

Erst zu diesem Zeitpunkt wurde die Sammlung evakuiert, das Museum geschlossen. Und das Gehalt von Marie Falcke gekürzt – sie habe ja nun keine Führungen mehr zu machen, hieß es. Nichtsdestotrotz blieben die Falcke-Frauen im Haus und kümmerten sich mit Engagement und Herzblut, löschten wohl auch Brandnester. In der Bombennacht vom 3. Oktober 1944 stürzte sogar ein Teil der Fassade über dem Kellereingang ein, als in der Straße eine Bombe niederging. Marie Falcke, die sich in den Keller gerettet hatte, konnte über einen Durchbruch zum Nachbarhaus ins Freie gelangen und blieb unverletzt.

Doch das Haus hatte gelitten, Löcher klafften in der Fassade und die Fensterscheiben waren zerborsten. In dieser halben Ruine wurde schnell ein Zimmer zurechtgemacht und Marie Falcke und Tochter zogen Anfang 1945 wieder ins Dürerhaus – ohne Wasser, ohne Strom, ohne Heizung.

Bei einem weiteren Luftangriff am 21. Februar 1945 legten Bomben die ganze Nachbarschaft in Schutt und Asche, es brannte rundherum. Und sicher wäre auch das Albrecht-Dürer-Haus ein Opfer der Flammen geworden, hätte nicht Gertrud Falcke Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Sie arbeitete zu dieser Zeit als Stenotypistin im Polizeipräsidium und informierte den Polizeipräsidenten und SS-Brigadeführer Otto Kuschow, der auch für den Luftschutz verantwortlich war, über die bevorstehende Katas-trophe. Kuschow beorderte die Feuerwehr in die Albrecht-Dürer-Straße.

So konnten das Haus und selbst der mittelalterliche Dachstuhl gerettet werden, in dem die bedeutsame Wanderer-Einrichtung eingelagert war. Ende des 19. Jahrhunderts hatte Friedrich Wilhelm Wanderer (1840-1910), Professor für kunstgewerbliches Zeichnen an der Kunstgewerbeschule Nürnberg, zwei Räume im Stil der Dürerzeit eingerichtet, teilweise mit Mobiliar aus dem Antiquitätenhandel und teilweise mit Nachbauten. Er orientierte sich dabei an Dürers Zeichnungen. Beide Räume sind heute wieder im Albrecht-Dürer-Haus zu sehen. „Original aus Dürers Zeit stammen nur das Haus selbst, die Küche und das ‚heimlich Gemach‘, also das Klo“, berichtet Demele.

Dass aber die Türen aus dem 16. Jahrhundert erhalten blieben und sogar Butzenscheiben den Zweiten Weltkrieg überstanden, ist auch das Verdienst von Marie und Gertrud Falcke. Sie blieben auch nach Kriegsende im Haus und „beschützten“ es, denn in der Not der Nachkriegszeit wurde in den Ruinen der Altstadt natürlich auch vieles mitgenommen und anderweitig verwendet. Weil das Albrecht-Dürer-Haus jedoch eine so wichtige Rolle für die Identität Nürnbergs spielt, wurde es bald nach Kriegsende wieder aufgebaut und konnte schon 1949 eröffnet werden. Große Teile der Altstadt lagen da noch in Trümmern.

Den Einsatz von Marie Falcke und Tochter Gertrud, später verheiratete Frank, honorierte die Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung schon während des Krieges mit einer Ehrengabe und Weihnachtsspenden. Auch der damalige Stiftungsvorsitzende Friedrich Stoer erkannte an, dass die Frauen das historische Haus „vor dem unvermeidlichen Untergang bewahrt“ hatten und wollte sich bei der Stadt für sie einsetzen. Doch eine Würdigung erfahren sie erst jetzt.

Christine Demele hatte bei einer Agnes-Führung im Albrecht-Dürer-Haus erstmals von den Retterinnen des Albrecht-Dürer-Hauses erfahren. Eine Geschichte, der sie im Kollegenkreis nachging. „Legende“ hieß es, aber auch „das stimmt“. Die Museumsleiterin forschte im Archiv nach, entdeckte dort belastbare Informationen der Stiftung und einen Briefwechsel mit der Stadt Nürnberg. Endlich konnte sie „den zwei Frauen“ auch einen Namen zuordnen. Ein Zeitungsaufruf führte dazu, dass Verwandte ausfindig gemacht wurden und sich schließlich die Kinder von Gertrud Frank meldeten.

Beide leben heute in Bayern und der Schweiz, trafen Christine Demele aber schon im Frühjahr und haben im Juli das Albrecht-Dürer-Haus besucht. Sie brachten Fotos mit, die nach der Umgestaltung des Erdgeschosses an den beherzten Einsatz ihrer Mutter und Großmutter erinnern werden.

https://albrecht-duerer-haus.de

Das beschädigte Albrecht-Dürer-Haus nach dem Bombenangriff vom 2. Januar 1945. © Stadt Nürnberg

Albrecht-Dürer-Haus
Albrecht-Dürer-Straße 39
90403 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 17 Uhr, Sa, So, 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-25 68
albrecht-duerer-haus.de

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