Interview mit Leiter Imanuel Baumann

Neues Konzept, großer Umbau

von Gabriele Koenig - 7.10.2022

Nürnberg - Das Memorium Nürnberger Prozesse ist eine Erfolgsgeschichte: 2019, vor Corona, kamen 100.000 Besucherinnen und Besucher. Inzwischen strömen sie wieder. Jetzt steht das Haus, das die Geschichte der Prozesse gegen die Verantwortlichen des NS-Staates und der juristischen Aufarbeitung ihrer Verbrechen erzählt, vor einem großen Umbau.

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Außenansicht des Memoriums Nürnberger Prozesse

Herr Dr. Baumann, seit gut einem Jahr leiten Sie das Memorium Nürnberger Prozesse. Die Weltlage hat sich seitdem komplett gedreht: In der Ukraine herrscht Krieg und die Spannungen zwischen China und den USA wachsen. Ist angesichts dieser Situation das Thema Nürnberger Prozesse nicht auserzählt?
Die Geschichte der Nürnberger Prozesse ist nie auserzählt. Mit fortlaufender Geschichte finden wir immer neue Bezugspunkte. Wir reflektieren: Wie ist die Gegenwart? Und um was ging es bei den Nürnberger Prozessen? Sicher gibt es Ähnlichkeiten in der Ukraine. Aber: Hitler ist nicht Putin und sein Angriffskrieg ist auch kein Vernichtungskrieg. Es geht sehr schnell, dass man Dinge vergleicht – aber leider oft falsch.

Hatten Sie sich vorgestellt, dass Sie so viel Aufklärungsarbeit leisten müssen?
Ich kenne das aus meiner vorigen Tätigkeit im „Hotel Silber“, das Zentrale der Gestapo für Baden-Württemberg und Hohenzollern war und heute Lern- und Erinnerungsort ist. Dort geht es auch um die Geschichte der Polizei. Was ist anders heute? Gibt es Strukturen und Linien, die sich fortsetzen? Das muss man immer wieder ausloten. Wir tun es gerade mit der Ausstellung zum Rechtsterrorismus. Damit beschäftige ich mich seit sieben Jahren und finde sehr spannend, wie das mit dem Memorium zusammenpasst.

Dass das Memorium Nürnberger Prozesse neu konzipiert und erweitert werden sollte, steht seit langem fest. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen?
Ich wusste, dass es meine Aufgabe ist, die geplante Neukonzeption zu reflektieren und weiterzudenken. Mit dem Oberlandesgericht eine Grundvereinbarung über Räume zu treffen und eine neue Erschließung anzudenken, war gut. Aber es sind Finanzierungsfragen offen und wir müssen uns vielleicht von Teilen der ursprünglichen Konzeption verabschieden. Wir werden also neue Wege gehen – und es ist großartig, dass ich ein gut strukturiertes und intrinsisch motiviertes Team an der Seite habe.

Einer der Knackpunkte der künftigen Ausgestaltung ist das Besucherzentrum. Wozu brauchen Sie das überhaupt?
Wir sind ein Stückweit Opfer unseres Erfolgs. Vor der Pandemie hatten wir 100.000 Besucherinnen und Besucher jährlich, gegenwärtig kommen monatlich wieder so viele wie in den entsprechenden Monaten vor Corona. Vor allem Gruppen können wir im bestehenden Eingangsbereich nicht adäquat begrüßen: Angefangen bei Garderobe und Toiletten bis hin zu den Audioguides, die wir an die 70 Prozent unserer Besucher ausgeben, die nicht deutschsprachig sind. Was besser werden muss, ist die Vermittlungssituation. Gerade mit Schülern sollten wir besprechen und reflektieren, um was es im Memorium geht. Das können wir in der Ausstellung nur bedingt und müssen meist ausweichen – entweder in Räume in unserem Verwaltungsgebäude, das 400 Meter entfernt ist, oder in den Cube 600, der unangenehm hallt. Zudem wollen wir auch Sonderausstellungen zeigen – die ehemalige Autowerkstatt ist dafür nur notdürftig geeignet.

Vor einigen Jahren hatten Studierende schon Vorschläge gemacht, wie das Besucherzentrum aussehen könnte. Wissen Sie schon Näheres?
Gegenwärtig läuft der offizielle Architektenwettbewerb. Ich bin sehr gespannt auf die Vorschläge – auch darauf, wie man das Besucherzentrum und das Memorium klug miteinander verbinden kann. Gut finde ich, dass die Stadt Nürnberg den Neubau – die Werkstatt nutzen wir nur interimsweise – mit der Neugestaltung des Platzes verbindet. Wir würden gern die Gastronomie beisteuern und wünschen uns eine angenehme Situation für die Besucher, wo sie sich nach ihrem Rundgang entspannen können.

Wie wichtig ist der Wohlfühl-Faktor und was werden Sie dafür tun?
Die jetzige Dauerausstellung ist nicht sehr hell. Ich glaube nicht, dass das Düstere des Themas mit der Atmosphäre korrespondieren muss – sondern möchte eine freundliche Atmosphäre schaffen, die zur Auseinandersetzung mit den Nürnberger Prozessen motiviert. Auch die Verbrechen, die von der internationalen Strafgerichtsbarkeit heute verhandelt werden, sind schwere Kost.

Wird es neben der Umgestaltung auch eine inhaltliche Überarbeitung geben?
Das Memorium ist vor zwölf Jahren eingeweiht worden. In den vergangenen zehn Jahren haben sich zum einen neue Erkenntnisse zu den Nürnberger Prozessen ergeben, zum anderen sind neue internationale Konflikte und Krisen eine Herausforderung für das Völkerstrafrecht. Wir haben viele Facetten, die wir behandeln wollen, und suchen Darstellungsformen, mit denen wir dauernd aktuell sein können. Außerdem möchten wir stärker mit Partizipation arbeiten und knüpfen an die Frage der Besucherinnen und Besucher an: „Was hat das mit mir zu tun?“ Monatlich haben wir etwa 300 bis 500 Gäste, die aus der Ukraine stammen. Sie könnten erzählen oder uns Gegenstände geben, so dass wir ein Fenster in die Gegenwart öffnen.

Womit beginnt der Umbau des Memoriums?
Der erste Schritt dazu ist der Saal 600, den setzen wir mit einer großen Medieninstallation gerade um und wollen noch vor Weihnachten eröffnen. Eine semi-transparente Leinwand im ersten Drittel des Raumes und eine weitere Leinwand werden medial bespielt mit historischen Aufnahmen und Sequenzen aus der Gegenwart, die Einblick in einen historischen Prozesstag vermitteln. Ich will hier nicht zu viel verraten, nur so viel: Es wird kein klassischer Einführungs- oder Erklärfilm sein, wir doppeln die Dauerausstellung nicht und ersetzen auch die personale Vermittlung nicht. Sondern eröffnen mit der Installation auch einen Assoziationsraum.

Das Memorium wird sich auch im Gebäude erweitern, die Räume hat das Oberlandesgericht bereits zugesagt – aber wer wird das bezahlen?
Unser Arbeitsauftrag ist, hier Wege zu finden – und mit den Menschen, mit der Stadt Nürnberg, dem Freistaat und dem Bund ins Gespräch zu kommen. Wenn wir eine überzeugende Vorstellung der Neukonzeption sichtbar machen und vermitteln, dass wir die Erneuerung brauchen, wird auch die Finanzierung gelingen.

Sie sind Historiker. Gibt es ein Thema, das Sie in Nürnberg ergründen und beforschen wollen?
Das Memorium Nürnberger Prozesse ist kein forschendes Museum, aber wir recherchieren unsere Themen. Mich interessiert besonders, wie man mit einem historischen Ort umgeht und ihn verändert. Da ist der Saal 600 so etwas wie ein Mikrokosmos der deutschen Geschichte. Angefangen mit dem Umbau für die Nürnberger Prozesse über den Rückbau in den 1960er Jahren bis zur aktuellen Veränderung. Ich habe mich zuletzt eingehend mit seiner Ausstattung beschäftigt, die mit Emblemen und Symboliken aufgeladen ist. Ich lese sie als Botschaft vor allem an die Richter, Recht und Gesetzlichkeit anzuwenden, das Mäßigkeitsgebot anzuwenden und ihrer Verantwortung für die Unterscheidung von Gut und Böse gerecht zu werden.

Zur Person:

Im Saal 600 wird derzeit eine große Leinwand installiert. © Olga Henich

Dr. Imanuel Baumann, Jahrgang 1974, leitet das Memorium Nürnberger Prozesse seit April 2021. Er studierte Neuere und Neueste Geschichte, Literatur- und Kunstgeschichte in Freiburg und promovierte über die Geschichte der Kriminalwissenschaft und dem Umgang mit Straftätern im 20. Jahrhundert. Baumann bringt umfangreiche Expertise aus dem Gedenkstättenwesen und der Erinnerungskultur mit, er hat unter anderem für die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora gearbeitet. Bevor er nach Nürnberg kam, hat er am Haus der Geschichte Baden-Württemberg die Geschichtsvermittlung für den Erinnerungsort „Hotel Silber“ (ehemalige Gestapo-Zentrale für Württemberg und Hohenzollern) entwickelt. Er ist habilitierter Historiker und Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Memorium Nürnberger Prozesse
Bärenschanzstraße 72
90429 Nürnberg
Öffnungszeiten: Mo, Mi – Fr 9 – 18 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-2 86 14
memorium-nuernberg.de

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