Memorium verfolgt Geschichte ab 1945

Traditionen rechten Terrors

von Imanuel Baumann - 7.10.2022

Nürnberg - Die rechtsterroristischen Anschläge von Kassel, Halle und Hanau haben die Bundesrepublik erschüttert. Sie stehen in einer langen Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland. Die Ausstellung Rechtsterrorismus. Verschwörung und Selbstermächtigung, 1945 bis heute nennt Beispiele und zeigt Traditionslinien auf. Zu sehen vom 28. Oktober 2022 bis 1. Oktober 2023 im Cube 600 des Memoriums Nürnberger Prozesse.

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Erinnerung an den Tag des Anschlags in Halle aus künstlerischer Sicht

Die Weltsicht von Rechtsterroristinnen und Rechtsterroristen speist sich aus unterschiedlichen Quellen, bezieht sich vielfach aber direkt auf die nationalsozialistische Weltanschauung. Demensprechend trat Rechtsterrorismus schon unmittelbar nach dem Ende der NS-Diktatur in Erscheinung, als Anhänger des besiegten und untergegangenen „Dritten Reiches“ glaubten, die alliierten Besatzer als äußere Feinde bekämpfen zu müssen.

1946 wurde bekannt, dass der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg Gegenstand von Angriffsplänen oder mindestens von Rachephantasien ehemaliger SS-Männer war. Noch viele Jahre später suchten Rechtsterroristinnen und Rechtsterroristen Revanche für die Niederlage und die Verurteilung der Kriegsverbrecher. In den 1970er- und 1980er-Jahren war Rudolf Heß als letzter, sich noch in Haft befindlicher „Hauptkriegsverbrecher“ ein wichtiger Bezugspunkt in der rechtsterroristischen Agenda. In einem „Offenen Brief“ an den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt forderte die Gruppe um Manfred Röder die „sofortige Freilassung von Rudolf Hess“, die Bundesrepublik sei Komplizin bei einem „Justizverbrechen an einem Unschuldigen“. Und die Schulte-Wegner-Gruppe wollte Rudolf Heß sogar aus dem Gefängnis der Alliierten in Berlin-Spandau befreien.

Warum verteidigen Rechtsterroristinnen und Rechtsterroristen nationalsozialistische Täter, warum attackieren sie die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen fortwährend? Es ist nicht nur Leugnung der NS-Verbrechen, es ist auch deren Rechtfertigung: Rechtsterrorismus aktualisiert die Weltanschauung der völkischen und nationalsozialistischen Überzeugungstäter, die im Nürnberger Schwurgerichtssaal verurteilt worden sind, für die Gegenwart.

Rechtsterrorismus teilt Menschen nach einer rassistischen Rangordnung in unterschiedliche Gruppen ein und will, dass diese getrennt voneinander leben. Er leugnet die unveräußerliche Würde und den gleichen Wert aller Menschen. Besonderen Hass hegt er gegenüber Jüdinnen und Juden, dem Judentum und dem Staat Israel, weil er im Judentum die „Wurzel allen Übels“ sieht. Zu den Übeln wird Migration ebenso gezählt wie die Gender-Thematik.

Deshalb sehen sich Rechtsterroristen selbst als solche, die eine aus ihrer Sicht allgegenwärtige jüdische Weltverschwörung erkennen und bekämpfen. Sie verschwören sich mit Gleichgesinnten und ermächtigen sich selbst zu schwersten Gewalttaten. Sie geben dabei vor, im Namen von „Volk“ und „Rasse“ zu handeln. Ihre Gewalt richtet sich dabei auch gegen den Staat und seine Repräsentanten, wenn dieser die Interessen des eigenen „Volkes“ angeblich nicht mehr vertritt. Sie wollen den Staat schwächen und ein Klima der Angst erzeugen.

Ein Grafitti in der Stadt. © Memorium Nürnberger Prozesse

Die Ausstellung Rechtsterrorismus. Verschwörung und Selbstermächtigung, 1945 bis heute im Memorium Nürnberger Prozesse bündelt mehr als 20 Beispiele von rechtsterroristischer Gewalt quer durch die Zeitläufte von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zur Gegenwart und ordnet sie in unterschiedliche Bereiche. Es geht um Rassismus, Antisemitismus, Revanchismus und Vigilantismus. Mit Vigilantismus ist jenes Selbstverständnis von Rechtsterrorismus als „Bürgerwehr“ gemeint, das dem Staat die Feindschaft erklärt.

Ein wesentliches Ziel der Ausstellung ist es, die aktuellen Fälle von schweren rechtsterroristischen Gewalt- und Mordtaten in einen längeren historischen Kontext einzubetten. Es soll sichtbar gemacht werden, dass Rechtsterrorismus keine temporäre und örtlich isolierte Erscheinung der Gegenwart ist.

Warum ist diese Erkenntnis so wichtig? Das Fehlen einer längeren Perspektive trübt die gesellschaftspolitische Erkenntnisfähigkeit, was auch im Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem Rechtsterrorismus Anfang der 2000er-Jahre zum Vorschein kam. Denn womöglich wurden die Morde des rechtsterroristischen NSU bis zu seiner Selbstenttarnung auch deshalb nicht richtig eingeordnet, weil sie nicht in das damalige Deutungsschema passten. Sie stimmten einfach nicht mit den Merkmalen von Terrorismus überein, die Sicherheitsbehörden von der RAF oder dem islamistischen Terrorismus kannten.

Memorium Nürnberger Prozesse
Bärenschanzstraße 72
90429 Nürnberg
Öffnungszeiten: Mo, Mi – Fr 9 – 18 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0911 2 31-2 86 14
memorium-nuernberg.de

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