MedMuseum zeigt Geschichte der Strahlentherapie

Heilende Strahlen

von Ingo Zenger - 27.2.2023

Erlangen - Die Strahlentherapie ist eine der drei Säulen der Krebstherapie. Bei der Entwicklung geeigneter Technologien haben Medizintechnikfirmen und Forschungsinstitute im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Ansätze erprobt – bis sie in den 1960er Jahren die noch heute bevorzugte Lösung fanden. Ein langer Weg. Nachvollziehen kann man ihn im MedMuseum Erlangen.

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Queen Elizabeth (Queen Mum) betrachtet das Betatron auf dem Internationalen Röntgenkongress 1950 in London.

Die Geschichte der Strahlentherapie beginnt mit einer Vorhersage. Der ungarische Arzt Endre Högyes schreibt im Januar 1896, wenige Wochen nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen: „Es besteht kein Zweifel, dass die chemisch wirksamen Strahlen auch biologisch aktiv sind und eines Tages eine therapeutische Rolle in der Medizin haben werden.“ Der Wiener Kinderarzt Leopold Freund versucht noch im gleichen Jahr, eine fünfjährige Patientin mit krankhafter Rückenbehaarung mithilfe von Röntgenstrahlen zu heilen. Etwa zur gleichen Zeit vermutet der 21-jährige Medizinstudent Emil Grubbe aus Chicago, dass sich Tumoren durch Bestrahlung behandeln oder sogar zerstören lassen. Grubbe beschließt, den Brustkrebs einer älteren Dame mit Röntgenstrahlen zu behandeln. Um das gesunde Gewebe zu schützen, deckt er es mit Zinnfolie ab und zielt mit den Strahlen so genau wie möglich auf den Tumor. Im Verlauf der 18-tägigen Behandlung schrumpft der Knoten in der Brust zunehmend. Emil Grubbes Bestrahlung der älteren Dame geht als erste dokumentierte Tumorschrumpfung in die Geschichte der Strahlentherapie ein.

Die Technik ist zu dieser Zeit jedoch denkbar ungeeignet für effiziente und sichere Krebstherapien. Grubbe und die anderen Pioniere nutzen praktisch die gleichen
Apparate, die auch in der Röntgen-Diagnostik zum Einsatz kommen. Die Leistung der Röntgenröhren müsste für eine effektive Therapie tieferliegender Tumoren jedoch hunderte Male höher sein. Zudem soll sich der Strahl so genau wie möglich an die Form des Tumors anpassen lassen, um die Belastung des umliegenden Gewebes so niedrig wie möglich zu halten. Auf der Suche nach der optimalen Technologie sollten in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Ansätze erdacht werden. Der Röntgenpionier Friedrich Dessauer entwickelt beispielsweise den sogenannten Reformapparat. Das Gerät ermöglicht ab 1912 erstmals die Bestrahlung von Tumoren, die wenige Zentimeter unter der Haut liegen. Im Reformapparat kommen zahlreiche Methoden zum Einsatz, die noch heute in der Strahlentherapie Anwendung finden, etwa die gezielte Bestrahlung aus mehreren Richtungen.

Ab 1942 konstruiert der Siemens-Physiker Konrad Gund in Erlangen ein technisch enorm aufwendiges Gerät: Das Betatron beschleunigt mittels eines Elektromagneten auf einer Kreisbahn Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und bremst sie anschließend ruckartig ab. Durch die Abbremsung der Teilchen entstehen ultraharte Röntgenstrahlen, die auf Tumoren im Körperinneren gelenkt werden. Betatrons entwickeln sich innerhalb weniger Jahre zur bevorzugten Methode der Strahlentherapie. Ende der 1950er Jahre entstehen neben den Betatrons andere Geräte, die das radioaktive Element Kobalt als Strahlenquelle nutzen.

Die Radioaktivität dieser Kobaltgeräte erzeugt Gammastrahlen, die in der Krebstherapie effektiver sind als die Elektronenstrahlen des Betatrons. Allerdings verliert Kobalt relativ schnell seine Energie; die Behandlungszeiten werden dadurch immer länger. Zudem erfordert die Radioaktivität einen hohen Aufwand beim Strahlenschutz und bei der Entsorgung. Das US-amerikanische Unternehmen Varian arbeitet zu dieser Zeit in Kalifornien an der Umsetzung einer Idee, die sich schließlich als optimale Technologie für die Strahlentherapie erweisen sollte: die Erzeugung präziser und energiereicher Strahlen durch Linearbeschleuniger.

Varian ist Mitte der 1950er Jahre bereits Markt- und Technologieführer bei Linearbeschleunigern für die wissenschaftliche Forschung. Das Unternehmen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft der Universität Stanford, deren Leiter der Abteilung Strahlenheilkunde, der Radiologe Henry Kaplan, an der Strahlentherapie und an der Radio-biologie forscht. Kaplan schlägt Varian vor, einen Linearbeschleuniger auf die Anforderungen der Strahlentherapie zu optimieren. Als der Clinac 6 im Jahre 1960 auf den Markt kommt, ist er das mit Abstand präziseste und leistungsfähigste kommerzielle System in der Strahlentherapie. Während sich Betatron-Systeme nur um 90 Grad drehen lassen, rotiert der Linearbeschleuniger im Clinac 6 um 360 Grad und erreicht jeden Tumor im Körper der Patientinnen und Patienten.

Im Jahr 1969 schließen Siemens und Varian erstmals einen Vertrag über eine Kooperation in der Krebstherapie: Varian vermarktet Kobaltgeräte von Siemens in den USA, Siemens bietet Varians Clinac-Systeme in Europa an. 2012 folgt eine enge Kooperationsvereinbarung auf dem Gebiet der Strahlentherapie; 2021 übernimmt Siemens Healthineers Varian für rund 16 Milliarden US-Dollar – die größte Übernahme in der gesamten Geschichte von Siemens. Seitdem arbeiten Varian und Siemens Healthineers daran, den Kampf gegen den Krebs mit gemeinsamen Bildgebungs- und Krebsbehandlungstechnologien auf eine neue Stufe zu heben.

Siemens Healthineers MedMuseum
Gebbertstraße 1
91052 Erlangen
Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 – 17 Uhr
Telefon: 09131 84 54 42
medmuseum.siemens-healthineers.com

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