Sensationelle Erbschaft

von Lisa Reinhard - 1.3.2024

Nürnberg - In der Museumsarbeit machen manchmal die kleinen Dinge die größte Freude. Ein besonderes Highlight für das DB Museum verbarg sich hinter einem Brief des Amtsgerichts Frankfurt, der eine völlig unverhoffte Erbschaft ankündigte.

A generic square placeholder image with rounded corners in a figure.
Erstmals in Farbe: William Wilson, Lokführer des Adlers. © Uwe Niklas, Mike Beims

Wenige Tage später brachte die Post eine unscheinbare Box mit goldenen Scharnieren – eine Zigarrenschachtel. Darin befand sich nicht etwa das Tabakvermächtnis eines fehlgeleiteten Erblassers, sondern eine kleine Sensation: Aus dem Inneren blickte William Wilson, der legendäre Lokführer der Lokomotive Adler auf Deutschlands erster Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Dessen Ururenkel hatte vor seinem Tod verfügt, das Gemälde solle nach 184 Jahren im Familienbesitz nun seinen Platz im DB Museum finden.

Von einem Porzellangemälde aus sieht uns William Wilson mit strahlend blauen Augen und geröteten Wangen an. Er trägt zeittypische Herrenkleidung, mit gestärktem Vatermörderkragen, voluminöser Halsbinde und Frack – so wie er auch auf dem Adler stand. Im Hintergrund zeigt ein Fenster seine Wirkungsstätte: Vor der Nürnberger Burg deutet eine Pappelallee die Strecke der Ludwigs-Eisenbahn an. Abgebildet ist Wilson im Kleinstformat, das Bildfeld misst gerade einmal sieben auf fünfeinhalb Zentimeter. Solche Formate galten als besonders intim und waren deshalb hochgeschätzte Geschenke – offensichtlich auch in Wilsons Familie.

William Wilson kam 1835 zusammen mit dem Adler aus dem nordenglischen Newcastle nach Nürnberg. Damals war er gerade 26 Jahre alt, aber schon ein geschätzter Mitarbeiter bei Robert Stephenson and Company, der ersten Lokomotivbaufabrik der Welt. Auf die Bitte der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft, mit der Lokomotive solle auch ein Ingenieur geschickt werden, begleitete Wilson den Adler auf seiner mehr als sieben Wochen langen Reise von Nordengland nach Franken. Hier sollte er nicht nur die Montage der in über 100 Einzelteile zerlegten Lokomotive anleiten, sondern auch Lokführer ausbilden – in Deutschland gab es schließlich noch keine.

Nach Ankunft der Transportkisten leitete Wilson den Zusammenbau der Lokomotive in den Werkstätten von Johann Wilhelm Spaeth
am Nürnberger Dutzendteich, absolvierte Probefahrten und schließlich am 7. Dezember
1835 die offizielle Eröffnung. Von da an fuhr Wilson zweimal am Tag den Adler von Nürnberg nach Fürth und zurück; den Rest des Tages erbrachten Pferde die Zugleistung. Trotzdem hatte Wilson gut zu tun: Er richtete eine Werkstatt ein, leitete diese, führte Aufsicht über die Gleisanlagen und verantwortete Reparaturen. Mit Ablauf der vertraglich vereinbarten acht Monate Aufenthalt in Nürnberg stand auch ein gut ausgebildeter Gehilfe zur Verfügung, der das laufende Geschäft jederzeit hätte übernehmen können. Wilson zeigte aber keinerlei Absicht, in die Heimat zurückzukehren – er hatte sich längst zum Publikumsliebling entwickelt.

Seine eindrucksvolle Gestalt auf
der Lok brachte ihm den Spitznamen „langer Engländer“ ein und war Garant für zahlreiche Fahrgäste. Fuhr ein anderer, sank der Zuspruch. Diese Beliebtheit war neben seinen technischen Kenntnissen sicher maßgeblich für sein hohes Gehalt, das ungefähr dem des Ersten Bürgermeisters der Stadt entsprach. Trotzdem lebte er bescheiden, zunächst in einem Gasthof, später bezog er ein Zimmer im Ludwigsbahnhof am Plärrer. 1842 erkrankte Wilson schwer und fiel vier Monate aus, was wohl den Wetterbedingungen und
giftigen Gasen geschuldet war, denen er auf der Dampflokomotive ungeschützt ausgesetzt war. Von da an wechselte er sich wöchentlich mit einem von ihm ausgebildeten Lokomotivführer im Fahrdienst ab, erholte sich aber nie wieder ganz und starb 1862 mit 52 Jahren.

Obwohl Wilson als Ausländer nicht heiraten durfte, war er mit einer Nürnbergerin liiert und hatte eine Tochter. Diese heiratete in die Familie Nudinger ein, an deren Grabmal auf dem Johannisfriedhof noch heute ein Epitaph an Wilson erinnert. Für seine Familie wird das kleine Porträt, das Wilson so lebendig zeigt, sicher die wichtigere Erinnerung gewesen sein – schließlich bewahrten es die Nachkommen, zuletzt im hessischen Bad Vilbel, über fünf Generationen.

https://dbmuseum.de

DB Museum
Lessingstraße 6
90443 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – Fr 9 – 17 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Telefon: 0800 32 68 73 86
dbmuseum.de

Teilen mit
Zurück zur Übersicht