Ein Gemeinschaftsprojekt – zwölf künstlerische Welten

von Judith Höchstötter - 5.3.2024

Nürnberg - Kunstwerke auf Papier sind eintönig? Davon, dass „Papierarbeit“ nicht gleich „Papierarbeit“ ist, kann man sich seit Ende Februar in einer Sonderausstellung des GNM überzeugen. Ein besonders spannendes Exponat ist Das Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren.

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Jürgen Klauke und Bernhard Johannes Blume für das Kölner Stundenbuch © GNM

Das Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren ist eine außergewöhnliche Arbeit. Der Titel lässt vermuten, dass es sich um ein spätmittelalterliches Gebetsbuch handelt, tatsächlich ist es aber ein zeitgenössisches Mappenwerk, das im Jahr 1988 als Gemeinschaftsprojekt entstand. Zwölf im Rheinland ansässige Kunstschaffende haben dafür zusammengewirkt. Doch wie kam es dazu? „Ausgangspunkt war der gemeinsame Wunsch des Künstlers Heinz-Günter Prager und des Verlegers Constantin Post, ein Projekt anlässlich des 700. Todestags von Albertus Magnus ins Leben zu rufen“, erlärt Christian Rümelin, Leiter der Graphischen Sammlung am GNM. Albertus Magnus (um 1200-1280) war ein deutscher Bischof, weg­bereitender Theologe und Philosoph. Er ist für seine christliche Auslegung der aristotelischen Philosophie bekannt und gilt bis heute als einer der bedeutendsten Wissenschaftler der europäischen Geschichte. Ihm „zu Ehren“ sollte in Köln, der Stadt, die er zu Lebzeiten als Gelehrter prägte und in der er nach seinem Tod beigesetzt wurde, ein Mappenwerk entstehen.

Bereits der übergreifende Titel verweist darauf, dass die Gemeinschaftsarbeit in der Tradition spätmittelalterlicher Stunden­bücher steht. „Diese dienten reichen, gebildeten Laien wie Klerikern als religiöse Andachtsbücher für das Stundengebet und gliederten den Tagesablauf in mehrere Gebetszeiten“, so Rümelin. Häufig waren sie mit aufwendigem Buchschmuck versehen. Das Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren ist ähnlich aufgebaut: Zu einer Reliquienhistorie des Schriftstellers Gerhard Rühm – der Text thematisiert den Umgang mit den Gebeinen des Heiligen nach dessen Ableben – gestalteten zwölf Künstler, darunter Claus Otto Paeffgen und Johannes Brus, je eine Arbeit auf Papier.

Ziel war es nicht, mit den Papierarbeiten den Text zu illustrieren. Und umgekehrt gedacht, versprachlicht auch der Text nicht die Kunstwerke. Vielmehr finden in einer Kassette zwölf Doppelbögen Text und zwölf Kunstwerke gleichberechtigt zusammen. Diese Gliederung in zwölf Tandems aus Text und Bild hat mehrere Hintergründe: Die Zahl steht – angelehnt an historische Stundenbücher – für die Aufteilung des Tages in zwölf Tag- und Nachtstunden, außerdem für die Einteilung eines Jahres in zwölf Monate. Zudem wurden die Gebeine Albertus Magnus insgesamt zwölf Mal umgebettet. Auf diese Umbettungen geht Gerhard Rühm in seinem Text ein.

Die Papierarbeiten faszinieren durch ihre Vielfalt. In der Ausstellung besteht die seltene Gelegenheit, die zwölf Blätter nebeneinander in einer großen Vitrine ausgelegt zu sehen. So wird deutlich, wie unterschiedlich sich künstlerisches Schaffen zu ein und demselben Thema manifestieren kann. Jeder Künstler wählte in der Auseinandersetzung mit Albertus Magnus seinen ganz eigenen gestalterischen Ansatz: Jürgen Klauke etwa ließ – an andere seiner Arbeiten erinnernd – zwei abstrahierte menschliche Körper miteinander verschmelzen.

Dafür arbeitete er mit leuchtenden Aquarellfarben und Graphitstift. Kräftiges Pink trifft auf Grau, Dunkelgrün auf kontrastierendes Rot. Bernhard Johannes Blume dagegen kombinierte auf schwarzem Tonpapier Zeichnung und Sprache. Zwischen zwei mit Goldstift gezeichneten Köpfen im Profil sind mit weißem Sprühlack geometrische Figuren aufgebracht. Sie tragen gemeinsam die Inschrift „Gott und die Welt“. Stehen diese Begriffe wortwörtlich für eine Unterhaltung zweier Protagonisten über „Gott und die Welt“? Die Graphitstift-Inschrift „Albert & Thomas in einem aristotelischen Diskurs“ am unteren Blattrand kontextualisiert die Szene. Sie lässt erahnen, dass es sich bei dem von Blume gewählten Bildsujet um einen Gedankenaustausch zwischen Albertus Magnus und seinem berühmten Schüler Thomas von Aquin handelt. Dieser hatte bei Albertus Magnus in Paris studiert und begleitete ihn später als Assistent nach Köln.

Die einzelnen Kunstwerke aus dem Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren und viele weitere spannende Arbeiten in der Ausstellung eint das Medium Papier. Alle Exponate stammen aus der Sammlung Françoise und Heinz-Günter Prager. Der Bildhauer, Zeichner und Grafiker sammelt seit den 1960er Jahren Werke anderer Künstlerinnen und Künstler. Viele Jahre teilte er diese Leidenschaft mit seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau Françoise.

2023 konnte die Graphische Sammlung einen Teil dieser beeindruckenden Privatsammlung übernehmen – darunter auch Kunstwerke, die, wie Das Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren, als Kooperation mehrerer Kunstschaffender entstanden sind. Ihnen ist eine eigene Sektion der Sonderausstellung gewidmet.

Jürgen Klauke und Bernhard Johannes Blume für das Kölner Stundenbuch © GNM

Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 20.30 Uhr
Telefon: 0911 13 31-0
www.gnm.de

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