GNM: Experte für mittelalterliche Musik gastiert in Nbg. und erklärt, was dahintersteckt
Herr Professor Morent, wenn Menschen mittelalterliche Musik singen, hat man sich da in jedem Fall den Gregorianischen Choral vorzustellen?
Naja, natürlich gibt es auch den Minnesang eines Oswald von Wolkenstein oder Walther von der Vogelweide, aber wenn man sich auf liturgische Musik konzentriert, wie wir mit unserem Ensemble, dann fußt das natürlich im Wesentlichen auf dem Gregorianischen Choral, der seit dem 9. Jahrhundert die Musik der Kirche bildete. Wobei das kein starres Gebilde darstellt. Es kamen immer Kompositionen hinzu, etwa wenn neue Heilige besungen oder bestimmte Hochfeste musikalisch aufgewertet werden sollten.
Sie nennen Ihr Programm Ekstase und Askese. Warum, und wie ist das zu verstehen?
Wenn man sich vorstellt, dass die Abtei in Cluny die größte Kirche vor dem Bau des Petersdoms in Rom war, dann entwickelte sich nicht nur eine architektonische Prachtentfaltung, sondern auch eine liturgische. Heute stehen ja nur noch Fragmente der Kirche, aber wir haben ausgerechnet, dass der Nachhall in Cluny 14 Sekunden betrug. Für diese Verhältnisse komponierte Petrus Venerabilis seine großen Offizien-Vertonungen, die sich gerne in ornamentale Läufe ergossen. Demgegenüber wollte es Bernhard von Clairvaux mit seinem Reformorden der Zisterzienser in Citeaux ausnehmend schlichter und konzentrierter. Er legte mehr Wert auf Innerlichkeit. Beide Klöster befanden sich Burgund und standen in einer gewissen Konfrontationsstellung.
Übertragen Sie eigentlich für Ihre Sänger die mittelalterliche Notenschrift in das heute gebräuchliche Fünf-Linien-System?
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