Queere Kunst der Gegenwart

von Matthias Dachwald, Harriet Zilch und Anne Schloen - 18.10.2023

Nürnberg - Queer, poppig und kritisch – so präsentiert sich die Kunst in Who’s Afraid Of Stardust? Positionen queerer Gegenwartskunst. Die internationale Gruppenausstellung ist bis 11. Februar 2024 im Kunsthaus und der Kunsthalle Nürnberg zu sehen. Beide Ausstellungshäuser kooperieren damit bereits zum zweiten Mal.

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Navot Miller, Javier in the morning after, 2023 © Navot Miller

Wörtlich übersetzt heißt „queer“ so viel wie „schräg“ oder „seltsam“. Im englischen Sprachraum galt der Begriff lange Zeit als abwertende Bezeichnung für Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und/oder sexuellen Orientierung nicht der gesellschaftlichen Norm entsprachen. Doch seit den 1990er-Jahren erlebte der Begriff einen Aneignungs- und Umdeutungsprozess durch die Community. Sowohl als positive Selbstbezeichnung wie auch im Kontext eines wissenschaftlichen und politischen Aktivismus steht „queer“ heute selbstbewusst für alle, die sich nicht der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft
zugehörig fühlen.

Who’s Afraid Of Stardust? thematisiert verschiedene Aspekte queeren Lebens und beleuchtet die aktuelle Debatte über Diversität. So hinterfragen unter anderem Sabrina Jung, Otakar Skala oder Cindy Sherman im Kunsthaus unsere gängigen Rollenbilder von Mann und Frau und spielen mit den Vorstellungen, die mit dem starren binären Geschlechtersystem verbunden sind. Indirekt fordern sie die Betrachtenden auf, eingefahrene Sehgewohnheiten und Denkmuster kritisch zu reflektieren. Ganz anders dagegen die Installation von Barish Karademir und Walter Schütze, die sich mit den ganz konkreten Gewalterfahrungen der queeren Community weltweit auseinandersetzt. Mit dem Slogan „I'm not dancing I'm fighting“ zeigt die Künstlerin Julia Bünnagel in ihren Interventionen die Kraft queeren Empowerments, während Zora Kreuzer die bunt schillernde und raumfüllende Lichtinstallation Pink Campagne für die Kunsthalle Nürnberg entworfen hat. Medial nutzen die an der Ausstellung beteiligten 30 Künstlerinnen und Künstler alle Gattungen der Gegenwartskunst: Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video, Skulpturen, Performance, Raum-, Sound- und Lichtinstallationen.

In der bildenden Kunst vollzog sich rückblickend bereits Ende der 1960er-Jahre ein Wandel. Galten transsexuelle Prostituierte oder Performer und Performerinnen in den 1950er-Jahren noch als „arme Outsider“, betrachtete Andy Warhol Dragqueens wie Candy Darling in den 1960er-Jahren als Musen und holte sie vor die Kamera. Nach einem emanzipatorischen Aufbruch der queeren Community in den 1970er-Jahren löste die Ausbreitung des AIDS-Virus eine unfassbare Krise aus. Keith Haring nutzte in den 1980er-Jahren seine ikonische Kunst immer wieder im Kampf gegen HIV, und auch Peter Hujar fotografierte jene Menschen, deren Leben und Identitäten verleugnet und deren Leiden ignoriert wurden. In der öffentlichen Wahrnehmung war die Infektionskrankheit eng mit männlicher Homosexualität verknüpft und in konservativen Kreisen galt sie gar als Strafe Gottes.

Plakatmotiv © Otto Dietrich

Für den Ausstellungstitel Who’s Afraid Of Stardust? stand David Bowies legendäre Kunstfigur Ziggy Stardust von 1972 Pate. Eine positive, poppige und schillernde Erscheinung als optimistischer Aufbruch in eine bessere Zukunft. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich in der gesamten Ausstellung wider: Einerseits war Queerness noch nie so sichtbar wie heute und bereichert unser Leben, gleichzeitig ist die rechtliche wie gesellschaftliche Gleichstellung für Personen, die nicht
der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft angehören, nach wie vor nicht erreicht, und die Zahl der Angriffe und gewalttätigen Überfälle auf queere Menschen nimmt auch in Deutschland wieder zu. Zum „Flagge zeigen“ fordert auch die Ausstellung auf, denn „Jeder hat Anspruch auf (…) die in dieser Erklärung (der Menschenrechte) verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, (…)“, so der Artikel 2 der universalen Menschenrechte der UN und ähnlich der Artikel 3 (3) des Grundgesetzes. Auch das generalsanierte Künstlerhaus zeigt Haltung und platzierte im Zuge eines Kunstwettbewerbs eine pinke Flagge der Künstlerin Heidi Sill vor dem neuen Haupteingang: ein in der Stadt sichtbares Zeichen gegen Diskriminierung und ein Plädoyer für ein diverses, selbst-bestimmtes Leben.

Peter Hujar, Candy Darling on her Deathbed, 1974 © Peter Hujar

Kunsthalle Nürnberg
Lorenzer Straße 32
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – So 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 20 Uhr
Telefon: 0911 2 31-28 53
kunsthalle.nuernberg.de

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