Nová Vlna – Die Filme des Prager Frühlings

10.1. bis 7.3.2025

 

Ausgehend von der französischen Nouvelle Vague entstanden in den 1960er Jahren nicht nur in westlichen Ländern künstlerische Erneuerungsbewegungen, die sich im Kino als „Neue Wellen“ manifestierten – Gegenbewegungen einer jungen Generation von Filmemacher*innen, die mit etablierten Konventionen brachen und formale wie ideologische Barrieren überwanden –, sondern auch in den sozialistischen Staaten Osteuropas. 

 

 

Von allen Neuen Filmwellen, die damals die Welt erfassten, war die tschechoslowakische – nicht zuletzt dank der Prager Filmhochschule FAMU und ihrer Absolvent*innen – eine der fruchtbarsten, faszinierendsten und radikalsten. Beflügelt von einer allgemeinen politischen Liberalisierungstendenz in der damaligen ČSSR revolutionierte eine junge Generation unerschrockener Regisseur*innen – darunter Věra Chytilová, Jan Němec, Jaromil Jireš, Ivan Passer, Evald Schorm, Pavel Juráček sowie die späteren Oscar-Preisträger Miloš Forman, Jiří Menzel und Ján Kadár – ihre Kinematografie und setzte dem staatstragenden „Sozialistischen Realismus“ ein Kino der persönlichen Erfahrung, Aufrichtigkeit und formalen Erneuerung entgegen. Sie riskierten Zensur, hinterfragten herrschende Moralvorstellungen und stellten Autoritäten in Frage. 

Dank einer eruptiven Kreativität, die sowohl gesellschaftlich als auch filmhistorisch folgenreich war, brach sich Mitte der 1960er Jahre das tschechoslowakische Filmwunder Bahn und erregte auch internationale Aufmerksamkeit. Auszeichnungen bei renommierten Filmfestivals wie Cannes, Venedig und Locarno häuften sich. Vorreiter waren Věra Chytilovás VON ETWAS ANDEREM (1963), Jaromil Jireš’ DER SCHREI (1963) und Miloš Formans DER SCHWARZE PETER (1964) sowie DIE LIEBE EINER BLONDINE (1965). 

Neben einem anderen Blick auf den Alltag finden sich in den Filmen der Nová Vilna immer wieder Anknüpfungspunkte und Übergänge zu Stilformen, die vom Spiel mit den filmischen Möglichkeiten, einem feinen Gespür für das Tragikomische und einem Sinn für eine lyrische Filmsprache geprägt sind. Darüber hinaus ließen sich die Filmemacher*innen von der Moderne des internationalen Autorenfilms inspirieren und bezogen sich auch auf die Avantgarde-Traditionen ihres Landes, wie etwa den Poetismus, der sich um einen abenteuerlichen Blick auf das Alltägliche bemühte und in den 1930er Jahren als tschechischer Vorläufer des Surrealismus galt. Franz Kafka, der erst 1963 in der Tschechoslowakei rehabilitiert wurde, und die Stücke des absurden Theaters dienten ebenso als Inspirationsquelle. 

Ulrich Gregor hebt vier Merkmale der Nová Vlna hervor: „die offene oder verschlüsselte Kritik am Stalinismus oder ‚Personenkult‘; ein Streben nach Authentizität in der Darstellung von Erfahrungen, das sich bis in die Ästhetik der Filme fortsetzte; ein scharfer Blick für die Oberfläche der Wirklichkeit, für Details und Atmosphäre; die Entwicklung eines pointilistischen Realismus“, ein Sinn für das Groteske und Skurrile, Karikaturistische sowie, bei einigen Regisseuren, eine ausgeprägte Neigung zur Parabel, zur Allegorie.“

Gemessen an der Zahl neuer Filme und ihrer Autor*innen konnte die ungewöhnlich breite und hohe neue Welle auch in die Nachbarländer ausstrahlen und fiel dort auf fruchtbaren Boden, bis der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die ČSSR am 21. August 1968 dem Experiment des Prager Reformkommunismus und damit auch der Blütezeit des tschechoslowakischen Films ein jähes Ende bereitete.

Das Filmhaus freut sich, 25 Filmperlen der Nová Vlna zu präsentieren (29, wenn man die einzelnen Episoden des Omnibusfilms PERLEN AUF DEM MEERESGRUND mitzählt), darunter auch das in ihrem Umfeld entstandene epische Historiendrama MARKETA LAZAROVÁ (1967) von František Vláčil, das 2017 mit 50-jähriger Verspätung auch in die deutschen Kinos kam. Damit ermöglichen wir einen umfassenden Einblick in den Reichtum und die Vielfalt des tschechoslowakischen Filmwunders der 1960er Jahre. 

Zum Auftakt unserer Reihe am Freitag, den 10. Januar um 19 Uhr zeigen wir den Film DIE LIEBE EINER BLONDINE von Miloš Forman mit einer Einführung von Dr. Christina Frankenberg und anschließendem Umtrunk. 

In Kooperation mit dem Amt für Internationale Beziehungen, den Tschechischen Zentren Berlin und München und dem Národní filmový archiv, Prag. Unser Dank gilt Dr. Christina Frankenberg, Dr. Frances Jackson und Lucia Petříková.