Raum 1 - NYC
A Second Look: Die Pionierin
Ruth Orkin träumte davon, Regisseurin zu werden. Doch in den 1940er-Jahren war dieser Weg für Frauen so gut wie unmöglich: Ausbildungsprogramme blieben verschlossen, zentrale Positionen in Hollywood waren männlich besetzt.
Um trotzdem Erfahrungen zu sammeln, arbeitete Orkin bei Metro-Goldwyn-Mayer. Als erstes „Messenger Girl“ des Studios erhielt sie Einblick in den Produktionsalltag und studierte Film auf eigene Faust. Doch all das reichte nicht, um Zugang zur Regie zu bekommen. Viele Jahre später konnte sie zwar Filme verwirklichen – jedoch nur in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Morris Engel, mit dem sie Little Fugitive (1953) und Lovers and Lollipops (1956) drehte.
Weil die Türen zum Film verschlossen blieben, suchte Orkin nach einem eigenen Weg. Sie griff zur Kamera, arbeitete selbstständig und entwickelte in der Fotografie eine Form des visuellen Erzählens, die ihren filmischen Blick weiterführte. Straßenszenen in New York erinnern an einzelne Filmstills: Momentaufnahmen, die Bewegungen, Begegnungen und zugleich die Atmosphäre der Stadt einfangen – ihr Tempo, ihre Dichte, ihre soziale Dynamik.
So wurde Orkin zu einer Pionierin, die aus Hindernissen eine eigene Sprache entwickelte. Ihre Geschichte zeigt, wie Frauen in der Kunst trotz struktureller Ausschlüsse ihren Weg finden. Gleichzeitig erinnert sie daran, wie viele andere Talente unsichtbar blieben, weil ein System sie bewusst verdrängte. Diese Strukturen wirken bis heute nach. Umso wichtiger ist es, den Blick zu schärfen und den Stimmen von Künstlerinnen wie Orkin den Raum zu geben, der ihnen immer zugestanden hätte.
A Second Look ist ein zusätzlicher Themenpfad innerhalb der Ausstellung. Er lädt dazu ein, über die Fotografien hinaus weitere Fragen zu stellen: über Frauenbilder, über den Blick in der Kunst, über Macht und Sichtbarkeit.
