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A Second Look: Female Gaze
Wer schaut und wer wird angeschaut? Diese Frage hat die Kunst- und Mediengeschichte über Jahrhunderte geprägt.
Lange Zeit bestimmten Männer, welche Bilder in die Welt gelangten. In Malerei, Fotografie und Film dominierten sie die Position des Erzählenden und des Betrachtenden. Frauen tauchten darin meist als Motiv auf – schön, begehrenswert, passiv. Diesen Blick bezeichnen wir heute als „Male Gaze“: eine Perspektive, die Frauen nicht als eigenständige Handelnde, sondern als Objekte des Sehens inszeniert.
Dieser Blick ist nicht unschuldig. Bilder formen unser Denken. Wenn Frauen immer wieder als dekorativ oder verletzlich gezeigt werden, dann verfestigt sich eine Vorstellung davon, wie „Frausein“ auszusehen hat. So brennen sich Machtverhältnisse in Bilder ein – und wirken zurück in den Alltag.
Dem gegenüber steht der Female Gaze. Damit ist nicht einfach gemeint, dass Frauen andere Frauen fotografieren. Es geht um etwas Grundsätzlicheres: Erfahrungen, Körper und Identitäten so zu zeigen, dass sie nicht auf bloße Objekte reduziert werden. Der Female Gaze eröffnet neue Erzählweisen – über Selbstbestimmung, Widerstand und Vielfalt. Er kann Nähe und Solidarität sichtbar machen oder aufzeigen, mit welchen Rollenbildern wir leben.
Dass dieser Perspektivwechsel nötig ist, zeigt sich besonders im öffentlichen Raum. Wer darf ihn frei durchschreiten? Wer wird beobachtet, kommentiert, belächelt oder bedrängt? Und wie lassen sich diese Erfahrungen in Bilder übersetzen, ohne die alten Muster zu wiederholen?
Fotografien wie American Girl in Italy (1951) machen die Mechanismen des Male Gaze sichtbar: Männer blicken, eine Frau wird angeschaut – und gleichzeitig dreht sich die Situation um, weil der weibliche Blick hinter der Kamera die Machtverhältnisse offenlegt.
Auch Serien wie Who Works Harder? stellen die Frage nach Sichtbarkeit. Ruth Orkin setzt hier zwei Bereiche nebeneinander, die damals wie heute ungleich bewertet werden: Hausarbeit und Berufstätigkeit. Sie fotografierte in dieser Werkserie Frauen beim Putzen, Kochen oder Kinderbetreuen – und stellte diese Szenen jenen gegenüber, die Frauen in ihrer Karriere oder bei „sichtbarer“ Arbeit zeigen. Es wird sichtbar, dass Arbeit von Frauen in all ihren Formen zentral ist – doch gesellschaftlich sehr unterschiedlich anerkannt wird.
Die Diskussion über den Female Gaze ist auch heute noch wichtig. In einer Welt voller Bilder kommt es darauf an, wer diese Bilder macht – und aus welcher Sicht. Erst wenn verschiedene Perspektiven sichtbar werden, können sich auch unsere Vorstellungen von Geschlecht, Identität und Zusammenleben verändern.
A Second Look ist der zusätzliche Themenpfad der Ausstellung. Er verbindet Ruth Orkins Werk mit größeren Fragen rund um Frauenbilder, Blickrichtungen und gesellschaftliche Rollen. So entsteht eine zweite Ebene, die aktuelle Perspektiven eröffnet und zum Weiterdenken einlädt.
