Mit der Ausstellung Here in the Real World präsentiert die Kunsthalle Nürnberg erstmals um­fassend das genreübergreifende Werk von Monika Michalko (*1982 Sokolov, Tschechien). In ihrer Malerei verbindet die Künstlerin figürliche und objekthafte, vegetabile und ornamentale, abstrakte und architektonische Bildelemente. Diese verwebt sie zu einem organischen Gefüge, das eine alternative Wirklichkeit zu repräsentieren scheint, die nicht den Gesetzmäßigkeiten der Perspektive, Schwerkraft oder Proportion verpflichtet ist. Ihre Gemälde sind komplexe Wimmelbilder: Formen und Farben füllen die zur Verfügung stehende Fläche gänzlich aus, und es lassen sich immer wieder neue Mikroerzählungen entdecken. Einem ihrer Gemälde aus dem Jahr 2010 gibt Monika Michalko den Titel Horror Vacui, benannt nach dem drängenden Wunsch, die leere Leinwand mit Bildelementen gänzlich zu füllen. Ein Impuls zur Verdichtung ist bei ihren Kompositionen offenkundig, jedoch ist dieser nicht motiviert durch eine Furcht vor der Leere, sondern durch eine spielerische Lust an der Fülle, an der Parallelität der Dinge, an der Opulenz der Schöpfung.

Monika Michalko war auf Einladung der Kunsthalle Nürnberg die 24. Stipendiatin des Marianne-Defet-Malerei-Stipendiums. Sie hat von März bis Juli 2023 im Atelier- und Galeriehaus Defet in Nürnberg gelebt und gearbeitet.

Raum 1

"Ich bin ein bisschen abergläubisch und denke, dass die Fantasiewelten, die wir erschaffen, unsere Leben wirklich beeinflussen können. Es ist die Aufgabe von Künstler*innen, alternative Welten zu erschaffen. Deshalb findet sich in unserer Welt kaum Gewalt und Düsterkeit, denn davon gibt es schon viel zu viel in der wirklichen Welt. Wir schaffen diese bunte andere Welt, laden Menschen in sie ein und hoffen, dass sie etwas von diesen Schwingungen mitnehmen und sie da draußen verbreiten."

Diese Aussage des Musikers und Künstlers Kyp Malone zitiert Monika Michalko in einem Interview, welches im Katalog zur Ausstellung erschienen ist. Es überrascht wenig, dass Kyp Malones Idee einer von der realen Welt emanzipierten Wirklichkeit, die die potenzielle Fähig­keit besitzt, sich positiv auf unsere Realität auszuwirken, Monika Michalko gefällt. Seit vielen Jahren ist dieser Gedanke auch für ihr Werk bestimmend.

So nennt Monika Michalko ihre Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg Here in the Real World und provoziert damit ein Nachdenken über unsere alltägliche Realität. Diese kommt häufig über das Radio in das Atelier der Künstlerin: Während des Malens hört sie Podcasts und Hörbücher, aber auch Berichte über das Weltgeschehen, über die Eskalationen und Katastrophen unserer Zeit. Ihre Kompositionen entstehen im Bewusstsein dieser Ereignisse und verweisen zugleich auf die Fähigkeit zur eskapistischen Gestaltung einer alternativen Welt.

So erscheint gleich der erste Ausstellungsraum der Kunsthalle Nürnberg vollständig trans­formiert. Ein himmelblauer Teppichläufer, eine Tapete, die motivisch auf der Radierung Fröhlich in Franken (2024) von Monika Michalko basiert, und ein farbenfrohes Zeltdach aus Vorhangstoffen verändern die Atmosphäre des Raums vollständig. Dazu Monika Michalko:

"Die Idee, Ausstellungen installativ zu gestalten, entstand erstmals 2005 zusammen mit meinem Künstlerkollegen Christoph Blawert. Wir stellten damals in Off-Ausstellungsräumen in Hamburg aus und wollten dem traditionellen „White Cube“ – ein kalter Raum mit weißen Wänden und grellem Licht – etwas entgegensetzen. […]. Mehr denn je reizt es mich, Räume einzunehmen und zu transformieren. Immer wieder bin ich davon fasziniert, was mit einem weißen Raum passiert, wenn man ihn farbig streicht, ihn mit Textilien und bemalten Gegenständen bestückt. […]. Mich interessieren Räume, in denen man sich wohlfühlt und gerne verweilt, um alles in Ruhe anzuschauen, auch wenn Worte wie „Wohlfühlen“ und „Atmosphäre“ in der bildenden Kunst ein Tabu zu sein scheinen."

 

 

Raum 2

Auch der zweite Ausstellungsraum wurde, in Kooperation mit Studio C.A.R.E. aus Rotterdam, neu inszeniert und erscheint nun als dreidimensionaler Illusionsraum. Das abstrakte All-over-Painting zeigt sich untrennbar verwoben mit dem durch die Architektur vorgegebenen Raum. In dieser begehbaren Malereiintervention zeigt Monika Michalko auf einer zweiten Ebene zahlreiche ihrer Gemälde. Blicken wir auf diese Werke in Kenntnis der Malereigeschichte, so zeigen sich vielfältige Bezüge. Nie handelt es sich um direkte Zitate, jedoch trifft die Künstlerin malerische und kompositorische Entscheidungen, die ihre Vertrautheit mit den Avantgardeströmungen der Moderne dokumentieren. Diese Verweise werden in dem Wissen genutzt, dass hier eine Ausdrucksvielfalt existiert, die für Variationen und Adaptionen zur freien Verfügung steht. So provozieren ihre Werke Erinnerungen an vegetabil-technische Grotesken von Paul Klee oder Jean Tinguely, an die geheimnisvolle Atmosphäre der Stadtlandschaften von Giorgio de Chirico, an die überzeichnete Skurrilität der Figuren von James Ensor, an die mystische Aura der Landschaften von Hilma af Klint oder Odilon Redon sowie an die Einfachheit der Formen und dem damit verbundenen emblematischen Charakter der Malerei von Kasimir Malewitsch. Auch die Werke der Surrealist*innen spielen für Monika Michalko eine zentrale Rolle. Dazu die Künstlerin:

"Tatsächlich fühle ich mich in meiner Vorgehensweise beim Malen den Surrealist*innen verbunden. So wie viele von ihnen versuche auch ich, Realität und Traum in meinen Bildern zu verschmelzen – es ist eine Art, die Welt um mich herum zu verarbeiten. Ich beschäftige mich intensiv mit den Geschehnissen und Krisen unserer Zeit, und es scheint, als ob sich diese Intensität in meinen Werken widerspiegelt. Sie werden derzeit immer bunter, und zugleich spürt man, dass da ein Abgrund ist – diese Dinge verdichten sich aktuell."

Raum 3

Im dritten Ausstellungsraum präsentiert die Kunsthalle Nürnberg Beispiele aus der Werkserie der Tableaux vivants: lebende Bilder, filmisch festgehalten und wie dadaistische Theater­stücke erscheinend. Damit reaktiviert die Künstlerin eine Tradition, die sich im 18. und 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute: Berühmte Werke der Kunstgeschichte wurden mit lebenden Personen nachgestellt, und auch Monika Michalko inszeniert eine zunächst statisch erscheinende Szene mit mehreren Modellen. Diese sind kostümiert und in Pose gesetzt, mit vielfältigsten Requisiten ausgestattet und in Kulissen inszeniert. Zunächst scheinen wir mit dem eingefrorenen Moment eines filmischen Standbildes konfrontiert. Dann werden jedoch die Bewegungen der Körper deutlich. Die relative Ereignislosigkeit, die der alltäglichen Bilderflut diametral entgegensteht, entwickelt eine sehr spezifische, zarte Ästhetik und schult unseren Blick für die unzähligen Details der Komposition.

Mit dem Tableau vivant Mann mit Masken (2014) bezieht sich Monika Michalko auf den belgischen Maler, Grafiker und Zeichner James Ensor (1860 – 1949), der insbesondere durch den Einsatz von fantastischen Bildelementen wie Totenköpfe, Skelette, Masken und schelmische Fratzen bekannt wurde.

Ihre Arbeit S’Hertogenbosch (2009) verweist auf den niederländischen Maler der Spätgotik bzw. der Renaissance Hieronymus Bosch, der 1450 in s'Hertogenbosch geboren wurde und 1516 ebenda verstarb. Monika Michalko bewundert seine grotesken, oft unheimlichen Bilderwelten bereits seit ihrem Studium bei Norbert Schwontkowski an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Dieses Tableau vivant, mit Kostümen und Kulissen aufwendig inszeniert, ist das erste der Werkgruppe und entstand bereits während des Studiums der Künstlerin.

Mit dem Werk Splendid Isolation (2010) bezieht sich Monika Michalko auf eine eigene Tuschezeichnung: Die Schwarz-Weiß-Komposition der Zeichnung wurde auf das filmische Werk übertragen. Ein genauer Blick auf die Haare und Münder der Figuren zeigt jedoch, dass es sich nicht um einen Schwarz-Weiß-Film handelt, sondern die Szene in Schwarz-Weiß inszeniert wurde.

"Die Tableaux vivants […] entstanden aus der Idee heraus, Malerei in ein anderes Medium zu übertragen, und auch daraus, Figuren und Objekte von der Leinwand in das „echte“ 3D-Leben zu verwandeln. Im Laufe der Zeit haben sich die Tableaux vivants, die anfangs meine Gemälde oder Zeichnungen als Vorlage hatten, zu freien Inszenierungen und schließlich zu Fotografien ent­wickelt. Diese Fotos werden von meinem Bruder Jan aufgenommen. Als Vorwand für dieses Vorgehen dienten zunächst Ausstellungsplakate, die diese Fotos zeigten. Tatsächlich beginne ich aber mehr und mehr, diese Inszenierungen als eigenständige Arbeiten zu begreifen, und so werde ich sie in der Ausstellung auch zeigen. Es könnte sein, dass ich mich künftig noch mehr mit dieser Thematik beschäftigen werde. Mich zu verkleiden, ohne dabei in eine bestimmte Rolle zu schlüpfen, macht mir einfach sehr viel Spaß, und dies am liebsten mit anderen zusammen. Malen ist eine recht einsame Tätigkeit. Wenn auch unter meiner Leitung, arbeiten wir beim Verkleiden im Team."

Raum 4

Auch im vierten Ausstellungsraum arbeitet Monika Michalko im Team. Sie hat 25 befreundete Künstler*innen eingeladen und eine Ausstellung in der Ausstellung kuratiert. Bereits seit ihrem Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg nutzt die Künstlerin diese kollaborative Praxis. Mit dieser Entscheidung konterkariert sie die tradierte Vorstellung eines genialischen Künstlerindividuums und entwickelt eine Art „Cliquenkunstwerk“. Dieses repräsentiert ein verschlungenes Netzwerk aus persönlichen Freundschaften, Referenzen und Verbindungen und lässt die Kollaboration zum Arbeits­prinzip werden.

Vielleicht ist auch das in ihrem Werk wiederkehrende Motiv der Pilze in diesem Kontext zu lesen: Pilze sind Organismen, von denen nur ein sehr kleiner Teil über der Erde sichtbar ist. Der weit größere Teil wächst unterirdisch in einem weit verzweigten Rhizomennetz. Dieses Prinzip lässt sich auf die Arbeitsweise von Monika Michalko übertragen: Was im Kontext einer Ausstellung präsentiert wird, ist lediglich ein kleiner Teil der Pars pro Toto für ein komplexes Referenzsystem sowie für ein verschlungenes und symbiotisches Netzwerk mit Weg­begleiter*innen steht.

Raum 5

Auch der große Saal der Kunsthalle wurde von Monika Michalko, in diesem Fall vorrangig durch Textilen, vollständig verändert. Ein farbenfroher Teppichboden, ein frei im Raum hängendes Textilbild aus geometrischen Formen und eine auf dem Boden liegende Stoffpuppe prägen den Raum.

Monika Michalko: "Für mich ist genau dies die Freiheit der Kunst: sich in jeder Situation, an jedem Ort mit jedem Material austoben zu können. Es ist dieser Spieltrieb, der uns in unserer Gesellschaft schnell abtrainiert wird und so produktiv ist. Ich mag das Textile und was es mit einem Raum macht. Genauso interessiert mich, was Farbe auf Gesichtern macht und was in einem Nebeneinander dieser Dinge passiert. Mit verschiedenen Materialien und Medien zu arbeiten, ist Teil meines Experiments, auch wenn der Kosmos dabei in gewisser Hinsicht immer der gleiche bleibt. Über die Jahre habe ich ein eigenes Farben- und Formenvokabular entwickelt, das kontinuierlich ist und sich zugleich ständig verändert. Die verschiedenen Strömungen des Bauhauses fand ich immer sehr inspirierend, aber mache mich auch schon mal lustig über die damaligen patriarchalen Umstände. Die Frauen durften nur mit Textilien arbeiten. Wenn ich Stoffarbeiten anfertige, denkt man im ersten Moment, es sei genäht. Spannend finde ich jedoch, die Textilien genau nicht zu nähen. Ich klebe die Stoffe mit Heißkleber aneinander. Auf die Weise kann ich schnell und spontan agieren, auf dem Boden arbeiten und darauf herumlaufen, und das macht mir viel mehr Spaß, als an der Nähmaschine zu sitzen."

Der große Saal zeigt paradigmatisch: Die Malerei von Monika Michalko beschränkt sich nicht auf einen planen Bildträger. Sie wird volumenhaft, dehnt sich aus und greift in die dritte Dimension. Charakteristische Bildelemente kehren auf Wänden, Teppichböden oder auch als Muster auf Mobiliar und Objekten wieder. Ihre Ausstellungen sind Malereiinstallationen, rhythmische Über­lagerungen, Variationen und Verdichtungen. Die Formensprache der Bilder wird weiter in den Raum verzweigt, und die Grenzen zwischen Bild und Raum lösen sich in einem komplexen Zusammenspiel auf.

Raum 6 und 7

Während der Ausstellungsraum 7 (links) als klassisches, museales Kabinett inszeniert wurde und zahlreiche Radierungen umfasst, u. a. auch jene, die Monika Michalko im ersten Raum vergrößern und als Tapete an die Wand bringen ließ, zeigt der oktogonale Raum 6 eine Figur, der Monika Michalko den Titel Maler*innen Müll (2024) gibt und welche die Künstlerin aus all den Materialien konstruiert hat, die bei der Atelierarbeit übrigbleiben: Farbreste und -tuben, Pinsel, verkrustete Farbpaletten, Arbeitskleidung mit Farbspuren. Leicht erhöht, auf einem improvisierten Sockel stehend, erscheint die Figur von unzähligen Stunden der Atelierarbeit zu erzählen.

Raum 8

"Generell gibt es bei mir wenig Unterscheidungen zwischen Leben und Kunst, das geht bereits in meinem räumlichen Alltag miteinander einher: Mein Atelier ist gleichzeitig mein Zimmer, in dem sich sowohl meine Kleidung als auch mein Hochbett und mein Büro befinden. Im Wohnzimmer ist zugleich mein Bilderlager."

Liest man diese Beschreibung, so erscheint es nur konsequent, dass Monika Michalko in einem Raum der Kunsthalle Nürnberg eine Art persönliche Wunder­kammer eingerichtet hat mit vielen Referenzen, Fundstücken und Erinnerungen. Der Raum 8 erscheint als Gesamtkunstwerk, in dem keine Unterscheidung zwischen einem Alltags­gegenstand und einem Kunstwerk vollzogen wird. Auch lassen sich zahlreiche Motive entdecken, die uns in den Bildwelten von Monika Michalko bereits begegnet sind. Der Raum wirkt wie ein privates Wohn- oder Arbeitszimmer und lädt zum Verweilen ein.

Teil der Inszenierung sind auch einige von der Künstlerin geschaffene Keramiken, die vielfach an Korallen und korallenartige Strukturen erinnern. Im Ausstellungskatalog zitiert Monika Michalko aus einem naturkundlichen Buch über Korallen, welches sich auch als Teil ihrer Inszenierung in diesem Raum  finden lässt:

"Wer nach neuen Netzwerken und alternativen Ver­knüpfungen sucht, könnte also auf Korallen kommen. Noch dazu stehen sie nicht für sich, sondern konstituieren ein ganzes Ökosystem, was wiederum auch auf der metaphorischen Ebene bedeutet: Keiner wächst für sich allein."