On Stage: So nennt Andreas Schulze (*1955 in Hannover, lebt und arbeitet in Köln) seine Ausstellung, mit der er die Kunsthalle  Nürnberg zur Bühne für seine surrealen Bildwelten werden lässt. Immer wieder trifft die große schillernde Welt des Entertainments auf triviale Alltagsästhetik und kunsthistorische Bezugnahmen kollidieren mit banalem Zierrat und Nippes.
 

Für die Absurditäten unseres Alltags hat Andreas Schulze schon immer einen besonderen Blick besessen. In einem Gespräch äußert er 1989, die Avantgardekunst bewege sich zwischen den Extremen Intellektualität und grober Banalität, jedoch ginge es ihm um das bürgerliche Mittelmaß. Seit den frühen 1980er-Jahren zitiert er in seinen Werken eben dieses Mittelmaß mit einem amüsierten Achselzucken: Amorphe Röhren, wulstige Objekte, stilisierte Wellen, Lichtpunkte und nebelige Flächen formieren sich in seinen Gemälden zu eigentümlichen Landschaften. Backsteinwände, Veloursteppiche, Stehlampen und allerlei Alltagsobjekte bilden die Bühnen für Welten, in denen Vertrautes auf einmal rätselhaft und eigenartig erscheint und sich hintersinniger Humor mit einem unterschwelligen Unbehagen verbindet.

Andreas Schulze, seit 2008 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf, gehört zu der Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die sich im Übergang zu den 1980er-Jahren erneut zur Malerei bekannten. Vor allem eine Riege junger deutscher Maler, die im Nachhinein unter der Bezeichnung „Neue Wilde“ subsumiert wird, sorgte damals mit ihrer provokativen Punk-Attitüde für Aufsehen. Seine malerische Haltung entwickelte Andreas Schulze im Kontext dieser Szene, distanzierte sich jedoch recht schnell von deren expressivem, spontanem und subjektivem Duktus. Er entwickelte eine eigenwillige und unverwechselbare Bildsprache, die sich als unabhängig von kurzlebigen Strömungen und Paradigmenwechseln erwiesen hat.
Die Ausstellung On Stage ist eine Kooperation mit The Perimeter in London (17. März bis 1. Juli 2023). Im Snoeck Verlag erscheint, gestaltet von Petra Hollenbach, ein zweisprachiger (dt./engl.) Katalog mit Texten u.a. von Daniel Schreiber (ISBN 978-3-86442-406-9). 35,- Euro an der Kunsthallenkasse,  im Buchhandel 39,80 Euro.

In den ersten drei Ausstellungsräumen der Kunsthalle Nürnberg präsentiert Andreas Schulze die für seine Ausstellung On Stage neu entstandenen Großformate, die Bühnen, kulissenhafte Räume sowie Displays zeigen, die auch den grundlegenden Zeige- und Schaucharakter von Kunst und Architektur thematisieren. Immer wieder ergeben sich neue Perspektiven: Türen, Fenster und Durchgänge rücken in den Blick; architektonische und illusionistische Räume verzahnen sich.
Die Parklandschaft, die Andreas Schulze im ersten Ausstellungsraum zeigt, scheint auf den ersten Blick den Außenraum
zu thematisieren. Wir sehen Natur und einen verschlungenen Weg und denken unmittelbar an einen städtischen Park
in Frankreich, vielleicht in Paris. Ein blauer Luftballon zieht uns ebenso in den Raum hinein, wie die für Andreas Schulzes
Malerei charakteristische Wolke, die uns eine Laufrichtung vorzugeben scheint. Doch auch die Landschaft Ohne Titel
(Demande au bouleau)
zeigt eine Bühne, die, blass gemalt, seltsam vage bleibt und im nächsten Augenblick von einer
französischen Chansonsängerin betreten werden könnte. Mit seinem Werktitel "Demande au bouleau" erfindet Andreas
Schulze ein fiktives Chanson, das im Deutschen Frag‘ die Birke heißen würde. Die Birke zeigt sich kulissenhaft am
linken Bildrand, doch was wir sie fragen sollen, bleibt ungewiss. Der Künstler hatte auch den 1970 veröffentlichten Song
Ich brauch Tapetenwechsel von Hildegard Knef im Hinterkopf, indem die Sängerin eine Birke zur Protagonistin macht.

Die imaginäre Reise durch die Ausstellung On Stage setzt sich in der deutschen Hauptstadt fort: Mit einer historischen Straßenlaterne und der im verdunkelten Bildhintergrund platzierten Windmühle erinnert das Gemälde Ohne Titel  (Showtreppe) erneut an Paris, an das Moulin Rouge und den Montmartre, jenen legendären Hügel im Norden von Paris. Dennoch scheint das Großformat auch den Geist des Berliner Friedrichstadt-Palastes zu atmen, dieses Revuetheaters mit seiner verspielten Architektur, die so gar nicht unserer Vorstellung von DDR-Architektur der 1980er-Jahre entsprechen will. Die größte Bühne der Welt und zugleich ein Meisterwerk des gebauten Kitsches. Eine krude Mischung aus Jugendstil, Art Deco und klassischer Moderne und ein Mikrokosmos, in dem auch im Jahr 2022 noch „Girlreihen“ zum festen Repertoire gehören. In der Ästhetik, der Inszenierung und dem Rollenverständnis so aus der Zeit gefallen, als würden wir in die sozialistische Postmoderne zurückkatapultiert.
Aber – irgendwie – erscheint dieses Varieté in seiner piefigen Bürgerlichkeit auch liebenswert. Spätestens dann, wenn Andreas Schulze die Reihen langbeiniger Tänzerinnen durch Formationen behaarter Spinnen ersetzt, die vielbeinig mehr oder weniger grazil den roten Teppich der gigantischen Showtreppe herabsteigen. Wir blicken auf das absurde Bühnengeschehen, aber sehen nur das Spiegelbild der Szenerie in einem umlaufend beleuchteten Theaterschminkspiegel. Ein leichtes Unbehagen entsteht angesichts des verschatteten Bildhintergrunds und der Spinnenarmee. Denn als Sympathieträger ist die Spinne in der Tierwelt nicht bekannt, und heiter und bunt ist es hier auch nur auf der Bühne. Auch wecken die Spinnen kunsthistorische Assoziationen und lassen an die legendäre Künstlerin Louise Bourgeois (1911–2010) und an den Arte-Povera-Künstler Pino Pascali (1935–1968) denken, der mit seinem Werk La vedova blu eine gigantische blaue Spinnenskulptur erschuf, die, wie auch Andreas Schulzes Spinnen, plüschig-weich und unheimlich zugleich erscheint.
Auf den Bühnen von Andreas Schulze kollidiert immer wieder die große schillernde Welt des Entertainments mit kuriosem Kleinbürgertum. Das Gemälde Ohne Titel (Backstage) zeigt eine leere Showbühne, die wir durch eine weit geöffnete Tür erblicken. Backstage zeigt sich eine Wandfläche, geprägt durch zwei Farbbalken in Grün und Rotbraun. Diese Balken zitieren eine 1970 entstandene Treppenhausgestaltung des Künstlers Blinky Palermo (1943–1977): Palermos reduzierte Malerei zwischen Minimalismus und Konzeptkunst wird bei Andreas Schulze zu einem dynamischen Doppelstreifen und findet sich in einem anonymen Flur und damit in der bürgerlichen Realität wieder. Kleiderhaken inklusive.
Kunsthistorische Bezugnahmen und Brechungen gehören seit Jahrzehnten zur künstlerischen Praxis von Andreas Schulze: Seit den 1980er-Jahren zitiert er in seinen Werken alle Avantgardeströmungen des frühen 20. Jahrhunderts: von Dadaimus und Surrealismus über minimalistische Traditionen und amerikanische Farbfeldmalerei bis hin zur Pop Art. Auch das Gemälde Ohne Titel (Luce 197 Murano – Rimini) verweist auf Kunst, Architektur und Design. Der Bildvordergrund zeigt ein fiktives Lampendesign, das an die venezianische Glashütte Venini denken lässt, die seit 1921 Lampen produziert, sowohl für den häuslichen Gebrauch als auch für große öffentliche und private Räume, darunter Ministerien, Postämter, Theater und Hotels. Immer wieder kam es auch zu Kooperationen mit bedeutenden Designern und Architekten wie Angiolo Mazzoni (1894 –1979) oder Carlo Scarpa (1906 –1978). Für sein Gemälde entwirft auch Andreas Schulze eine Art modernistisches Lampendesign. Die dahinter erkennbaren Lichtkegel und bunten Nebelschwaden lassen erneut an eine Bühne oder Diskothek denken. Als Silhouette erkennen wir am Horizont Venedig mit San Marco und dem Dogenpalast, die Lagunenstadt, die von Rimini 197 Kilometer entfernt ist, wie Andreas Schulze uns im Werktitel verrät.

Auf den Bühnen von Andreas Schulze kollidiert immer wieder die große schillernde Welt des Entertainments mit kuriosem Kleinbürgertum. Das Gemälde Ohne Titel (Backstage) zeigt eine leere Showbühne, die wir durch eine weit geöffnete Tür erblicken. Backstage zeigt sich eine Wandfläche, geprägt durch zwei Farbbalken in Grün und Rotbraun. Diese Balken zitieren eine 1970 entstandene Treppenhausgestaltung des Künstlers Blinky Palermo (1943–1977): Palermos reduzierte Malerei zwischen Minimalismus und Konzeptkunst wird bei Andreas Schulze zu einem dynamischen Doppelstreifen und findet sich in einem anonymen Flur und damit in der bürgerlichen Realität wieder. Kleiderhaken inklusive.
Kunsthistorische Bezugnahmen und Brechungen gehören seit Jahrzehnten zur künstlerischen Praxis von Andreas Schulze: Seit den 1980er-Jahren zitiert er in seinen Werken alle Avantgardeströmungen des frühen 20. Jahrhunderts: von Dadaimus und Surrealismus über minimalistische Traditionen und amerikanische Farbfeldmalerei bis hin zur Pop Art. Auch das Gemälde Ohne Titel (Luce 197 Murano – Rimini) verweist auf Kunst, Architektur und Design. Der Bildvordergrund zeigt ein fiktives Lampendesign, das an die venezianische Glashütte Venini denken lässt, die seit 1921 Lampen produziert, sowohl für den häuslichen Gebrauch als auch für große öffentliche und private Räume, darunter Ministerien, Postämter, Theater und Hotels. Immer wieder kam es auch zu Kooperationen mit bedeutenden Designern und Architekten wie Angiolo Mazzoni (1894 –1979) oder Carlo Scarpa (1906 –1978). Für sein Gemälde entwirft auch Andreas Schulze eine Art modernistisches Lampendesign. Die dah nter erkennbaren Lichtkegel und bunten Nebelschwaden lassen erneut an eine Bühne oder Diskothek denken. Als Silhouette erkennen wir am Horizont Venedig mit San Marco und dem Dogenpalast, die Lagunenstadt, die von Rimini 197 Kilometer entfernt ist, wie Andreas Schulze uns im Werktitel verrät.

Andreas Schulzes Diskothek Ohne Titel (Discotheke)  zeigt eine Tanzfläche mit Spotlights, Spritzdekor-Wandgestaltung
und Leuchtkassettenboden, aber ebenso Schrankwand, Dunstabzugshaube und hölzernem Sprossenstuhl.
Im ersten Augenblick denken wir vielleicht an Ziggy Stardust, aber im zweiten Moment an Onkel Herbert, Tante Hildegard
und an ihren Partykeller.

Das Kaminbild Ohne Titel (P.S. Oh Happy Day), zwei Lampen aus seiner Werkserie Ohne Titel (Leuchte des Nordens, Bluse mit Rock), zwei Sessel, ein Schreibtischstuhl, die eine oder andere Erbse, ein schwarzer Plüschteppich, Holzmöbel und allerlei Designobjekte, Zierrat und Nippes bilden ein seltsam neodadaistisches Interieur in Andreas Schulzes „Zimmer“ für die Kunsthalle Nürnberg. Klug repräsentiert dieses skurrile Ensemble unsere banale Alltagsidylle anhand seiner objekthaften Repräsentanten. Denn nicht immer beschränkt sich Andreas Schulzes Malerei auf die Zweidimensionalität des planen Bildträgers.
Immer wieder wird sie auch volumenhaft und erweitert sich in den realen Raum. Es entstehen malerisch-plastische Environments, die die Möglichkeiten der Malerei als Tafelbild, Wandbild, Raumbild, Bild im Raum und Raum im Raum erproben. Aus einem komplexen Zusammenspiel von Gemälden, Wand- wie Bodenarbeiten, Mobiliar und Objekten ergeben sich eigentümlich-surreale Welten, in denen sich hintersinniger Humor mit Rätselhaftem verbindet. Andreas Schulzes bildnerischer Kosmos, tritt er uns zwei- oder auch dreidimensional gegenüber, ist bisweilen eigenartig und bei aller Vertrautheit bleibt ein unterschwelliges Unbehagen. Und so zeigt sich auch auf seinem weihnachtlichen Kaminbild kein romantisch knisterndes Feuer, sondern eine explosive Nebelwolke, die alles andere als eine weihnachtliche Idylle zu repräsentieren scheint.

Gigantische Gemälde verschiedener Automobile, angeordnet in einem klassischen Bilderfries. Stoßstange an Stoßstange drängen sich die Karosserien in einem raumfüllenden Stau. Der Realität sind diese seltsam freundlichen Fahrzeuge nicht verpflichtet: Keines der skurrilen Beförderungsmittel, weder die Familienkutschen noch die Wohnmobile, weder die Sportwagen noch die Laster, wäre in der Lage, uns von A nach B zu transportieren. Absurd ist die Vorstellung, diese Autos müssten in Regelmäßigkeit beim TÜV vorstellig werden. Eine Abgasuntersuchung wäre ebenso ausgeschlossen, wenn die gewaltigen Auspuffwolken diese auch stumm einzufordern scheinen.
In seiner Werkserie Stau führt Andreas Schulze die mit dem Automobil assoziierten Bedürfnisse – Mobilität, Fortschritt, Dynamik, Status – ad absurdum. Für seine „Porträts“ nutzt er unser kollektives bildnerisches Verständnis des Alltagsgegenstands und destabilisiert zugleich ironisch den gerade auch in Deutschland überhöhten Stellenwert des Industrieprodukts. Er weckt zugleich Zweifel an unserem – technischen wie künstlerischen – Innovationsglauben und dem omnipräsenten Wunsch nach einem Schneller, Höher, Weiter. Denn der Rausch der Geschwindigkeit spielt keine Rolle mehr, wenn ein Stau den absoluten Stillstand erzwingt. Dies gilt für einen Autostau ebenso wie für einen Bilderstau.

Die Reise durch die Ausstellung On Stage startet in einem französischen Park und endet in Italien. Denn kaum liegt
der Stau hinter uns, sind wir im Urlaub: Vacanze.
In Raum 6 zeigt Andreas Schulze erneut solch seltsame, aus der Zeit gefallene Vertreter unserer Alltagswelt, wie sie uns im Werk von Andreas Schulze immer wieder begegnen. In Zusammenarbeit mit einer traditionellen Glasmanufaktur in Murano sind 2022 „Buchstützen“ entstanden, die Andreas Schulze in drei Varianten präsentiert. Weiß, sandgestrahlt, transparent mit zahlreichen Lufteinschlüssen: In allen Fällen handelt es sich um gläserne Würste, die auf ihren rechtwinkligen Sockeln abzuhängen scheinen. Der Werktitel Relax verleiht ihnen eine narrative Erweiterung und eine Persönlichkeit. Denn auch die animistische Belebung der Dinge ist eine Spezialität von Andreas Schulze, der seinen abstrakten Formen durch assoziationsreiche Titel immer wieder eine menschliche Dimension einschreibt.

In Raum 7 zeigt sich italienische Kunstgeschichte: Mit seinen 2019 entstandenen Porträts Ohne Titel (Die Herzogin von Urbino) und Ohne Titel (Der Herzog von Urbino) zitiert Andreas Schulze das Doppelporträt des herzoglichen Paares von Piero della Francesca (ca. 1467 bis 1470), das sich heute in den Uffizien in Florenz befindet. Zeigen die Bildnisse des Renaissancekünstlers die Physiognomien mit einer der Natur verpflichteten und daher wenig schmeichelhaften Ehrlichkeit, baut Andreas Schulze die beiden Porträts vor stilisierter Landschaft aus seinen stilbildenden Kringeln auf. Ein wenig erinnert dieser Kunstgriff an den Maler Giuseppe Arcimboldo, der im 16. Jahrhundert seine fantastischen Bildnisse aus Pflanzen, Früchten, Gemüse und allerlei Alltäglichem komponierte.
Für die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg wurde die „Familie“ durch den Hund Ohne Titel (Battisti) erweitert, der zu Füßen des Paares Platz genommen hat. Andreas Schulze bezieht sich hier auf ein Fresko von Piero della Francesca aus dem Jahr 1451: Sigismondo Pandolfo Malatesta vor dem Heiligen Sigismund kniend. Im Bildvordergrund der Komposition zeigt sich der liegende Jagdhund, den Andreas Schulze nun in seine charakteristische Bildsprache übersetzt hat. Seinen Namen hat Battisti dem italienischen Schlagersänger Lucio Battisti (1943–1998) zu verdanken.

In Raum 8 präsentiert Andreas Schulze Gemälde aus seiner umfangreichen Werkgruppe Vacanze. Auf das entsprechende Goethe-Zitat kann verzichtet werden, denn die Italiensehnsucht der Deutschen ist längst zum Topos geworden. Gleißendes Licht, satte Farben, stilisierte Wellen, Badebekleidung und die gestreiften Shirts der Gondoliere lassen uns an das sommerliche Venedig denken. Und dann sind auf allen Werken der Vacanze -Serie auch wieder diese charakteristischen Wolken, die hier aus allen Rohren, Löchern und Körpern entweichen und einen Überschuss zu repräsentieren scheinen. Ein Zuviel an Abgas, Schmutz, Tourismus, heißer Luft ...

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